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Ein wichtiger Faktor für die künftige Stabilität des Energienetzes ist auch die smarte Energieverwaltung im Eigenheim – der deutschlandweit mit knapp unter 30 % zweithäufigsten Wohnform. Doch auch im öffentlichen Raum ist die Sektorkopplung unerlässlich.
Vor allem im ländlichen und suburbanen Raum sieht man sie immer häufiger, in futuristischem Glanz thronend auf den Dächern moderner Einfamilienhäuser: Photovoltaikanlagen ermächtigen Eigenheimbesitzer zur autarken Stromproduktion, unabhängig von fossilen Energieträgern wie Kohle und Gas, abgekoppelt von der Grundversorgung. Das ist nicht nur ökonomisch rentabel, sondern kommt auch dem Klima zugute; schließlich entstehen bei der Stromproduktion durch Solarenergie keine Kohlenstoffdioxidemissionen. Die Sorge, dass ausbleibender Sonnenschein bzw. alternierende Erzeugungs- und Konsumrhythmen den Nutzen der Anlagen schmälern könnten, ist jedoch weit verbreitet.
Es ist tatsächlich nur selten so, dass Erzeugung und Verbrauch übereinstimmen. Naturgemäß erreicht die PV-Anlage um die Mittagszeit ihr Produktionshoch, wenn die Strahlenintensität am größten ist, und generiert gegen Abend nur noch einen Bruchteil dessen. In den meisten Haushalten ist der Bedarf um die Mittagszeit allerdings am geringsten, da um diese Zeit tendenziell weniger Personen zu Hause sind, und steigt am Nachmittag und Abend rapide an. Diese Ungleichheit sorgt dafür, dass im Schnitt mehr als drei Viertel des erzeugten Stroms wieder ins Netz eingespeist werden. So entsteht zwar wenig ungenutzter Strom, ist aber meist nicht im Sinne der Betreiber: Ziel ist es, so viel selbsterzeugten Strom wie möglich tatsächlich auch selbst zu verwenden. Abhilfe schaffen Stromspeicher, Elektroautos, Cloud-Technologien – oder eine Kombination aus allem.
Von Konsumenten zu Prosumenten
Die Anzahl der Anbieter, die smarte Rundumlösungen anbieten, wächst stetig. Einer von ihnen ist die EnBW-Tochterfirma SENEC, die mit SENEC.360 ein integriertes cloudbasiertes System auf den Markt gebracht hat, welches genau das verspricht. Die überschüssige, per PV-Anlage erzeugte Energie wird für eine kurze Zeit im Stromspeicher zurückgelegt und kann beispielsweise am Abend abgerufen werden. Falls eine Wallbox zum Laden eines Elektrofahrzeugs vorhanden ist, wird diese ebenfalls mit Solarenergie versorgt – zumindest, wenn ausreichend Solarenergie vom Dach oder im Speicher vorhanden ist. „Solaroptimiertes Laden“ nennt SENEC-CEO Aurélie Alemany dieses Konzept. Sollte ein Stromüberschuss herrschen, wird dieser in der SENEC.Cloud einem virtuellen Stromkonto gutgeschrieben und kann bei Bedarf zu einem späteren Zeitpunkt genutzt werden, beispielsweise im Winter, wenn die erzeugte Energie tendenziell eher knapp ist.
Eine App, die einen Überblick über das private Energie-Ökosystem bietet, rundet das 360-Grad-Paket ab. „Wir machen die Elektromobilität mit der Kombination Photovoltaikanlage, Stromspeicher, Wallbox und Cloud klimafreundlich – denn besonders klimafreundlich ist das E-Auto dann, wenn zum Laden erneuerbare Energien genutzt werden“, so Alemany.
Angebote wie diese ermöglichen Privathaushalten eine komplette Strom-Autonomie. Anstatt lediglich zu konsumieren, werden sie zu Prosumenten – sie produzieren, nutzen und verteilen Energie. Der Löwenanteil verbleibt nun im eigenen Kreislauf, der Nutzungsgrad vervielfacht sich – und damit auch die ökologischen und ökonomischen Vorteile des Systems. Zudem wird auch das Elektroauto an der Wallbox vollständig durch regenerative Energien geladen und fungiert, sofern ein bidirektionales – also in beide Richtungen funktionierendes – Ladekabel vorliegt, als weiteres Speicheraggregat, sobald es vollgeladen ist. Läuft im Haus also die Waschmaschine, kann die dafür notwendige Energie aus drei verschiedenen Quellen an ihr Ziel kommen.
Energiewende essenziell für Mobilitätswende
Ein ähnliches Paket bietet auch das französische Energieunternehmen ENGIE an, das seinen deutschen Hauptsitz in Köln hat – ebenso das Berliner Start-up Enpal, das in den vergangenen Jahren Investitionssummen in Milliardenhöhe für sich gewinnen konnte. Um Photovoltaik als Energiequelle adäquat nutzen zu können, sind Stromspeicher genauso essenziell, wie es die nachhaltige Stromerzeugung für die Elektromobilität ist. Der ganzheitliche Ansatz, an dessen Ende ein autarker Versorgungskreislauf steht, wird in Zukunft einen immer größeren Anteil an der Energiewende einnehmen – und damit auch an der Mobilitätswende. Noch steht das Eigenheim hierbei klar im Fokus, SENEC hat aber auch Quartierslösungen im Blick, wie Alemany auf Nachfrage bestätigt. Hierbei müssen allerdings einige Hindernisse überwunden werden. Unter anderem befindet sich der Stromzähler in Mehrfamilienhäusern meist im Keller, was Cloud-Lösungen verkompliziert; schließlich kommunizieren diese größtenteils über das Mobilfunknetz. Zusätzlich besteht das altbekannte Problem: Der Platz für Wallboxen ist zumindest beschränkt, wenn er nicht gänzlich fehlt.
In dieser Marktlücke bewegt sich das Berliner Start-up ubitricity, das erst kürzlich von Shell übernommen worden ist. Das Geschäftsmodell klingt denkbar simpel: Straßenlaternen, die ohnehin mit dem Stromnetz verbunden sind, werden mit einer kleinen Ladestation für Elektrofahrzeuge ausgestattet. Auf diese Weise soll es Menschen, die gern elektrisch fahren möchten, aber keine Möglichkeit zur Installation einer eigenen Wallbox haben, ermöglicht werden, ihr Fahrzeug unkompliziert am Straßenrand zu laden. Ein flächendeckender Ausbau dieses Systems könnte dazu beitragen, die Hauptsorge von Umstiegswilligen zu beseitigen: Wo lade ich mein Auto? Ausgestattet mit Solarpanelen, könnten auch die ubitricity-Säulen bald eigene Energiesysteme sein – mitten im öffentlichen Raum, zugänglich für alle. Der Installation smarter Laternenanlagen widmet sich auch ENGIE, die zukünftige Entwicklung sollte gespannt beobachtet werden.
Der Energiesektor ist in Bezug auf die Mobilitätswende von großer Bedeutung. Smarte Systeme, die die Sektoren miteinander verbinden, haben das Potenzial, die Fragen zu beantworten, die in der Diskussion um alternative Antriebe und Elektrifizierung seit jeher im Raum stehen und dies auch weiterhin tun. Smarte Energiesysteme im Eigenheim können einen großen Anteil am Gelingen der Transformation haben, was Unternehmen wie SENEC und ENGIE verinnerlicht haben. So betont Aurélie Alemany, dass ein Energiespeicher den Anteil des Stromverbrauchs, der durch Solarstrom ersetzt werden kann, von etwa 30 bis 35 % auf 70 bis 80 % erhöhen kann. Doch auch die Energieversorgung im öffentlichen Raum wird entscheidend sein, damit auf dem Weg zur klimaneutralen Mobilität niemand auf der Strecke bleibt.
Autor
David O’Neill