Aral Mobility Hub
Die Aral AG hat in Berlin-Mitte eine Tankstelle zum Mobility Hub umgewandelt. Dort können nicht nur Benzin- und Elektrofahrzeuge getankt bzw. geladen werden, sondern es stehen auch vielfältige Angebote im Bereich Sharing und Mikromobilität zur Nutzung bereit. So soll das bisher vollkommen autozentrierte Konzept der Tankstelle an die Bedürfnisse der Zukunft angepasst werden.
Erweiterung vorhandener Infrastruktur
Die Alltagstauglichkeit eines Verkehrsmittels hängt im Wesentlichen von der Verfügbarkeit der für dessen Betrieb notwendigen Infrastruktur ab. Insbesondere im Gespräch über die Zukunftsaussichten der Elektromobilität wird zumeist darauf verwiesen, dass für eine flächendeckende Nutzung eben auch eine entsprechende Ladestationsdichte vorhanden sein muss. Das gilt allerdings auch für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die pro Tankfüllung durchschnittlich auf eine Reichweite von 482 km kommen; im Gegensatz zur Elektromobilität ist die Infrastruktur hierfür jedoch bereits seit Jahrzehnten in ausreichendem Maße vorhanden und weist entsprechend wenig Handlungsbedarf auf. Dass aber auch die Mobilität der Zukunft den bewährten Boxenstopp am Straßenrand für sich nutzen kann, beweist Aral in Berlin seit Oktober 2020: Aus einer herkömmlichen Tankstelle wird ein Mobility Hub, vorhandene Infrastruktur wird erweitert.
Gebündelte Mobilität
Auf dem Aral-Gelände an der Holzmarktstraße in Berlin-Mitte, gelegen zwischen Alexanderplatz und Ostbahnhof, steht nun nicht mehr ausschließlich das Befüllen von Benzin- und Dieseltanks im Vordergrund. Kundinnen und Kunden ist es nun überdies möglich, Elektroautos an zwei batteriebasierten – und somit vom Energienetz unabhängigen – Hochleistungsladepunkten mit 320 kW für die Weiterfahrt zu rüsten. Diese laden sich selbstständig auf, wenn kein Fahrzeug angeschlossen ist.
Der Jelbi-Standort auf Tankstellengelände. © Aral
Darüber hinaus wurde ein sogenannter Jelbi-Standort installiert, auf dem sich mit E-Scootern, Fahrrädern, Elektro-Mofas und Autos – von cambio, Miles und Greenwheels – eine Vielzahl verschiedener Sharing-Angebote konzentrieren. Mit der Jelbi-App, die von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) herausgegeben wird, können diese bequem freigeschaltet und genutzt werden. Nutzerinnen und Nutzern strombasierter Mikromobilität ist es an einer Swobbee-Station zudem möglich, leere Batterien innerhalb von 30 Sekunden gegen vollgeladene einzutauschen. Eine DHL-Packstation und ein rund um die Uhr geöffneter Supermarkt für den alltäglichen Bedarf befinden sich ebenfalls auf dem Gelände; die direkte Anbindung an drei S- bzw. U-Bahn-Linien rundet das multimodale Angebot ab. Das Areal wird so einerseits zur Tank-, andererseits zur Umsteigestation.
Kurze Wege und modale Flexibilität
Die „Tankstelle der Zukunft“, wie sie das Unternehmen selbst bezeichnet, soll als Knotenpunkt fungieren. Die Transformation der autogerechten – für die die innerstädtische Tankstelle symbolisch steht – zur mobilitätsgerechten Stadt erfährt somit einen wichtigen Anschub. Schließlich ist mangelnde Verfügbarkeit und dadurch schrumpfender Komfort geteilter Verkehrsträger ein vielmals genanntes Argument derer, die ungern auf den eigenen Pkw verzichten möchten. Durch das Sharing-Angebot und die direkte ÖPNV-Anbindung wird dieser Problematik entgegengewirkt.
Zusätzlich stellt Aral mit dem Vorstoß ein Leitprinzip in den Vordergrund, das in der modernen Stadtplanung eine Renaissance erlebt: die Funktionsdurchmischung. Eine „Stadt der kurzen Wege“, in der verschiedene Nutzungsfunktionen auf engem Raum aufeinandertreffen und nicht – wie in der autogerechten Stadtplanung der 1960er und 1970er Jahre üblich – weit auseinander liegen und ausschließlich mit fahrbarem Untersatz erreichbar sind, wirkt der Angewiesenheit auf individuelle Motorisierung entgegen. Der zentrale und gewerblich geprägte Stadtraum rückt durch die Bündelung von Mobilitätsträgern im übertragenen Sinne näher an ihr Umland heran – auch für diejenigen, die ohne Auto unterwegs sind.
Aral zeigt mit der „Tankstelle der Zukunft“ auf, welchen Stellenwert die richtige Kontextualisierung von Mobilitätsclustern einnimmt. Während beispielsweise Autobahntankstellen als Boxenstopp eine stärkere Fokussierung auf Schnellladesäulen für Elektroautos erfordern, aber wenig Nutzungspotenzial als Mobility Hub aufweisen, ist genau das im innerstädtischen Umfeld von essentieller Bedeutung. Im Hinblick auf die Erreichung der Mobilitätswende könnte diese den Effekt der Ladesäulen sogar übersteigen. Ebenfalls dürfte die Sekundärnutzung als 24/7-Supermarkt an Autobahnstandorten weniger Mehrwert bieten als im Zentrum Berlins.
Zukunftspläne
Patrick Wendeler, Vorstandsvorsitzender der Aral AG, sieht in dem Vorstoß großes Zukunftspotenzial. „Gerade im urbanen Raum spielt die Vielfalt an Fortbewegungsmöglichkeiten eine immer größere Rolle und unsere Tankstellen können hier zu einem sinnvollen Knotenpunkt werden“, sagt er. Das Ziel der Bochumer BP-Tochter ist ambitioniert: In den kommenden Monaten sollen bundesweit über 100 ultraschnelle Ladepunkte mit bis zu 350 kW Ladeleistung in Eigenregie in Betrieb genommen werden. Die Dauer eines Ladevorgangs entspricht dann in etwa der einer Benzin- oder Dieselbetankung.
Der Strom, der auf dem Gelände benötigt wird, soll in Zukunft selbstständig erzeugt werden, um eine autarke Versorgung zu ermöglichen. Damit arbeitet Mutterkonzern BP auf das Ziel hin, bis zum Jahr 2050 oder früher klimaneutral zu sein – auf möglichst allen Ebenen. Sofern die Angebote von der Bevölkerung in erwünschtem Maße angenommen werden, können Mobility Hubs wie Arals „Tankstelle der Zukunft“ einen wertvollen Beitrag zur nachhaltigen innerstädtischen Mobilität leisten.
Autor
David O’Neill