Autonomes und vernetztes Fahren im ÖPNV vor dem nächsten Technologieschritt
Im Kontext des Pilotprojekts „Shuttles&Co“ hat das Forschungsteam unter anderem die Akzeptanz von automatisierten und vernetzten Fahrzeugen im ÖPNV untersucht und die Ergebnisse im Journal für Mobilität und Verkehr veröffentlicht. Zu diesem Zweck haben die Wissenschaftler Bürger:innen aus dem Berliner Bezirk Alt-Tegel zu ihrem ÖPNV-Nutzungsverhalten befragt. Dort hatten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zwischen 2021 und 2022 erstmals auf öffentlichen Straßen eine hochautomatisiert betriebene Kleinbuslinie mit einer Begleitperson (SAE Level 3) eingesetzt. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass in diesem Rahmen kein grundsätzliches Akzeptanzproblem der getesteten Technik gab. Dennoch wurde das Angebot im Alltag wenig genutzt.
Wie übertragbar sind ihre Ergebnisse aus Alt-Tegel auf autonomes Fahren im ÖPNV insgesamt?
ARNDT: Leider ist bei solchen Busprojekten im Realbetrieb die Akzeptanz, die sich sowohl auf das autonome Fahren, als auch auf das damit verbundene Verkehrsangebot bezieht, bisher relativ wenig erforscht. Es gibt nur wenige Projekte, die Akzeptanz von (Nicht-)Nutzern so explizit abfragen, aber die Ergebnisse sind eigentlich ähnlich: Man sieht keine kritischen Faktoren der Ablehnung. Es handelt sich jedoch um Pilotprojekte im kleineren Rahmen, sonst würde es wahrscheinlich anders aussehen. Das sind absichtlich Randbetriebe, denn die autonome Technologie der Fahrzeuge hat noch nicht den Reifegrad, um stabil fahren zu können. Es überwiegt eine Euphorie, es sind viele Technikinteressierte dabei und vielleicht noch nicht die Masse der Skeptiker.
In dem qualitativen Dialogforum, das Sie am Ende der Untersuchung gemacht haben, gab es auch grundlegend ablehnende Rückmeldungen, die etwa den Sinn der Shuttles bezweifelt haben.
ARNDT: Das muss man nicht überbewerten. Das Dialogforum fand im Rahmen eines qualitativen Ansatzes statt und sollten zur Diskussion anregen, um eine breite Palette an Vor- und Nachteilen und Argumentationsmuster zu identifizieren und zu sortieren. Es war nicht dafür gedacht, Inhalte an die breite Öffentlichkeit heranzutragen. Hier muss man außerdem zwischen der Technologie und dem Angebot unterscheiden. Eine grundliegende Ablehnung der autonomen Technik gab es nicht, manche übten jedoch Kritik an der konkreten Ausgestaltung des Pilotprojektes.
LINKE-WITTICH: Wir wollten eigentlich auch vor dem Betriebsstart ein solches Dialogforum machen, um auf das Projekt aufmerksam zu machen. Pandemiebedingt hat das leider nicht funktioniert.
Sind in dort auch neue Anregungen eingebracht worden?
SCHÄPER: Auf jeden Fall. In der Diskussion ging es unter anderem um eine mögliche Erweiterung des Angebots, zum Beispiel der Betriebszeiten oder der räumlichen Anbindungen, etwa zu Konsum- oder Freizeiteinrichtungen. Die funktionale Erweiterung zum On-Demand-Verkehr wurde auch diskutiert, Shuttles&Co war ja ein Linienbetrieb. Das On-Demand-Angebot wollen wir in den Folgeprojekten realisieren. Ein Vorteil der qualitativen Untersuchungen war auch, dass sich mobilitätseingeschränkte Personen einbringen konnten. Manche kritisch eingestellten Gruppen konnten hingegen nicht erreicht werden, beispielsweise in Bezug auf den knappen Parkraum vor Ort.
LINKE-WITTICH: Die Forderung, ein Gesamtkonzept zum Pilotprojekt vor der eigenen Haustür vermittelt zu bekommen, hat mich ein wenig überrascht. Man hätte annehmen können, die Vorzüge eines Last-Mile-Shuttles lägen auf der Hand. Die Leute wollten aber gerne wissen, warum der Kiez die Shuttles braucht, wie viele Parkplätze gespart werden oder inwiefern stark frequentierte Straßen durch den Einsatz von Shuttles entlastet werden können.
Die lokale Öffentlichkeit hat die Shuttles überwiegend als positiven Beitrag zur Lebensqualität im Viertel gesehen.
LINKE-WITTICH: Ja. Da spielt viel mit rein, das hat man auch von den Leuten gehört. Flächennutzung, ein bisschen mehr Platz, Verkehrsberuhigung allgemein. Selbst bei den Nicht-Nutzer:innen äußerten sich 47 Prozent positiv, also auch fast die Hälfte. Bei den Nutzer:innen waren es sogar 75 Prozent. Insgesamt ist das eine Sache, die positiv bewertet wird. Für ein detailliertes Verständnis helfen die qualitativen Ergebnisse.
Könnte sich die Akzeptanz erhöhen, wenn diese Form des Busverkehrs Teil eines größeren, neuen Verkehrskonzepts für ein ganzes Viertel wäre?
ARNDT: Ja, aber das ist rein spekulativ. Wenn es wirklich ein sinnvolles Angebot ist, das die Erschließung erhöht, wird die Antwort sicherlich „ja“ sein, aber dann kann das Angebot auch fahrerbetrieben sein. Der Vorteil der autonom fahrenden Bussen ist aber, dass man Personalkosten einspart. Das ermöglicht ein dichteres ÖPNV-Angebot bei gleichzeitig überschaubarem Kostenaufwand, insbesondere auf der ersten und letzten Meile oder bei den oft vergessenen Stadt-Umland-Beziehungen. Wenn es die Technik ermöglicht, gleich im Umland in ein Anrufsammeltaxi einzusteigen, weil es ebenso kostengünstig ist, dann wird der ÖPNV auch dort sehr attraktiv. Ob es bei einem breiten Angebot jedoch Gruppen gibt, die es grundsätzlich nicht nutzen werden, wissen wir noch nicht.
Ist die erste und letzte Meile die einzige Anwendung für autonomes Fahren im ÖPNV? Viele Projekte sind im Moment darauf ausgelegt.
ARNDT: Ja. Die BVG möchte sich darauf aber nicht beschränken: In den aktuellen Projekten suchen wir auch größere Fahrzeuge. Das autonome Fahren soll keine Insellösung für die erste und letzte Meile sein, aber es ist ein guter Einstiegspunkt: Dort haben wir Nachholbedarf, es lässt sich gut darstellen und im Moment gibt es mehr kleinere automatisierte Fahrzeugtypen. Richtig große Busse werden im Moment sehr wenig angeboten, Level-4-Fahrzeuge gleich gar nicht. Es macht außerdem schon Sinn, vor allem nachfrageorientierte Services mit autonomer Technik auszugestalten: Bei konventionellen Bussen ist der Fahrer ja ständig in Arbeit, während er bei On-Demand-Diensten zeitweise rumsteht, wie beim Taxi auch. Die autonome Technik macht das effizienter, denn sie kostet beim Stehen fast nichts.
LINKE-WITTICH: Mich hat überrascht, dass bei unserer Umfrage herauskam, dass sich eine Mehrheit die Technik nicht bei großen Bussen vorstellen konnte. Ich bin gespannt, ob sich diese Einschätzung in Zukunft bestätigt und Bestand haben wird.
ARNDT: Das ist ein psychologischer Aspekt. Es ist entscheidend, die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Technik zu vermitteln, dass auch ohne Fahrpersonal im Störungsfall schnell und effektiv geholfen wird. Fahrerlose Peoplemover an Flughäfen werden massenhaft genutzt, da vertrauen die Menschen der Technik schon.
Der Stadtverkehr ist ja die Königdisziplin, weil da alles Mögliche passieren kann.
LINKE-WITTICH: Das war ja auch eine positive Erkenntnis, dass es auch auf den schmalen Straßen und mit den besonderen Straßenverhältnissen ganz gut geklappt hat.
Eines ihrer Ergebnisse war Neugierde als kurzfristige Nutzungsmotivation.
LINKE-WITTICH: Genau. Die überwiegende Mehrheit, also knapp 80 Prozent, haben das Shuttle aus Neugier oder in der Freizeit genutzt – aber wirklich nur einmal – und nicht zum täglichen Einkaufen oder für den Weg zur Arbeit
Meinen Sie, auf einer stark nachgefragten Linie oder in zehn Jahren würden sich die Ergebnisse verändern?
ARNDT: Sie spekulieren mit zwei unabhängigen Variablen: Ob es ein großer Betrieb ist, der eine echte Nachfrage bedient, und der Zuverlässigkeit der Fahrzeuge. Die wird in zehn Jahren höher sein.
LINKE-WITTICH: Definitiv. Die Hoffnung ist, eine positive Entwicklung hinsichtlich der Nutzungsregelmäßigkeit in größeren Nachfolgeprojekten.
Und auf dem heutigen Stand der Technik? Könnten sich nach einer Zeit Gewöhnungseffekte einstellen?
LINKE-WITTICH: Gewöhnungseffekte kann es sicherlich geben, allerdings eher nicht mit dem heutigen Stand der Technik. Wir haben autonomes Fahren auf Level 3 in Ansätzen getestet, also mit einer Begleitperson an Bord. Das wird es aufgrund des Personalmangels nicht langfristig geben. Demnächst testen wir Level 4, dabei fährt das Fahrzeug selbstständig ohne Begleitperson. Das ist dann wieder eine neue Technologie mit Kinderkrankheiten.
Sie haben auch abgefragt, wie die Menschen zu einer flächendeckenden Einführung solcher autonomen Shuttles im ÖPNV stehen.
Vergleich der Zustimmung bei Befragten per Telefon (erste und zweite Säule) und direkt nach der Nutzung (dritte Säule) © Bereich Mobilität und Raum, Zentrum Technik und Gesellschaft, Technische Universität Berlin
ARNDT: Die Resonanz ist grundsätzlich positiv, bei Kleinbussen kann man sich das schon vorstellen. Wenn die Fahrzeuge zukünftig größer werden, müssen wir die Frage erneut stellen. Außerdem gibt es in den Folgeprojekten keine Fahrer:innen mehr. Die Fahrzeuge sind dann quasi teleoperiert, können also in bestimmten Situationen virtuell aus der Ferne unterstützt werden. Für die Menschen im Bus sieht es aber wie unbegleitetes Fahren aus, mit entsprechenden Auswirkungen auf ihr Sicherheitsgefühl.
LINKE-WITTICH: Ich denke, unsere Zahlen sind in Bezug auf die Gruppe der Nutzer:innen sehr aussagekräftig. Bei den Nichtnutzer:innen ist das kein berlin- oder deutschlandweit repräsentatives Ergebnis, sondern bezieht sich nur auf das Einsatzgebiet mit den zwei Postleitzahlen.
ARNDT: Aber auch in dieser Grafik zeigt sich, dass der Zuspruch größer ist, wenn bereits Erfahrung mit der autonomen Technik besteht. Dann sieht man, das Shuttle ist kein Ungeheuer und nicht unbeherrschbar, sondern eine Möglichkeit, Lücken im ÖPNV zu füllen.
Welches Ergebnis hat Sie besonders überrascht und wo sind noch Fragen offen?
SCHÄPER: Aus dem Dialog ging hervor, dass das Interesse an einer aktiven, mitgestaltenden Bürgerbeteiligung nicht unbedingt hoch ist. Es gibt ein hohes Vertrauen in den Anbieter BVG als öffentliche Institution, daher meinten die Befragten, dass man da nicht ganz so viel unternehmen sollte. Außerdem war es schwierig, bei der qualitativen Erhebung die negativen Meinungen zu ermitteln: Für das Dialogforum haben wir Straßenakquise betrieben und gezielt Leute im Kiez angesprochen. Viele hatten das Shuttle zwar wahrgenommen, hatten aber kein tiefes Verständnis dafür. Einige dieser Menschen haben dann kurze negative Einschätzungen gegeben, fanden es störend oder kritisierten, dass es Parkplätze wegnimmt. Leider nutzen sie nicht die Chance, um ihre Meinung im Dialog einzubringen. Solche Meinungsbilder planen wir in Nachfolgeprojekten genauer zu erheben.
LINKE-WITTICH: Vielleicht sieht man da das Spannungsfeld: Einerseits wollen die Leute ein Gesamtkonzept und Erklärungen, andererseits haben sie aber auch nicht so richtig Lust, mitzumachen. Deswegen braucht es gute Konzepte zur niedrigschwelligen Beteiligung und mit allen relevanten Informationen, damit sich alle mitgenommen fühlen.
Wie geht es weiter?
LINKE-WITTICH: Ich bin sehr gespannt, ob sich das positive Gefühl der Fahrgäste im ÖPNV auch ohne Fahrzeugbegleitung einstellt.
ARNDT: Im laufenden Projekt KIS’M arbeiten wir mit teleoperierten Shuttles, das hat den gleichen psychologischen Effekt wie fahrerlose Fahreuge. Da bin ich auch gespannt.
LINKE-WITTICH: Das nächste Projekt NoWeL4 ist ja auch schon gestartet, wo es dann wirklich Level 4 geben soll. Wann der Betriebsstart ist, können wir aber noch nicht sagen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Autor
Jan Klein