Köln: 11.–12.06.2025 #polismobility

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Die Rolle digitaler Plattformen in der Mobilitätswende

Daseinsvorsorge in privater Hand?

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Im Interview spricht Dominik Piétron über die wachsende Macht digitaler Plattformen in der Mobilitätswende. Er warnt vor den Risiken, wenn private Anbieter die Kontrolle über Mobility-as-a-Service (MaaS) übernehmen. Um die Digitalisierung im Sinne des Gemeinwohls zu steuern, muss der öffentliche Sektor die Kontrolle über Mobilitätsdaten behalten. Doch wie kann verhindert werden, dass private Interessen die Zukunft der Mobilität dominieren?

Portrait von Dominik Piétron

© Dominik Piétron

„Digitale Mobilität gehört zum Versorgungsauftrag der Öffentlichen; man sollte nicht darauf warten, dass das Silicon Valley das übernimmt.“

Mobility-as-a-Service (MaaS) gilt als Wunderwaffe der Mobilitätswende. Dass private Anbieter die Daseinsvorsorge nun selbst in die Hand nehmen, ist allerdings neu. Wie schätzen Sie den Beitrag ein, den MaaS-Plattformen zur Mobilitätswende leisten können?

Zu Beginn möchte ich darauf hinweisen, dass die öffentlichen Verkehrsbetriebe die ersten waren, die MaaS in Deutschland so richtig in die Fläche gebracht haben; die privaten haben sie allerdings inzwischen überholt. Es ist schon länger im allgemeinen Verständnis angekommen, dass die Bündelung von Verkehren der Schlüssel zum Erfolg in der Mobilitätswende ist, und was das angeht, sind Online-Plattformen unschlagbar. Gerade wenn es um die intermodale Routenwahl geht, bei der der Umweltverbund im Zentrum stehen muss, können MaaS-Plattformen sehr hilfreich sein, um attraktive Alternativen zum privaten Auto aufzuzeigen. Zudem ermöglichen Plattformen Verkehrsplaner:innen eine bedarfsorientierte Angebotsplanung, da sie Veränderungen von Mobilitätsmustern in Echtzeit aufzeigen. So kann schnell auf Trends reagiert werden. Kurz gesagt: MaaS-Plattformen bergen unheimliche digitale Steuerungspotenziale.

Nun ist bekannt, dass sich private Anbieter nicht allzu gern steuern lassen. Können diese Potenziale dennoch angemessen genutzt werden?

Es lassen sich in jedem Fall gewisse Steuerungskonflikte beobachten. Diese finden auf zwei Ebenen statt: Die erste ist die Ebene der Dienste selbst, also der Steuerungskonflikt zwischen dem Geschäftsmodell und der Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Mobilitätswende. Die privaten Anbieter von Sharing- und Fahrdiensten wissen, dass sie mit ihrem Geschäftsmodell überhaupt nur in den Innenstädten profitabel sein können. Dort verschärfen sie aber die Flächenkonkurrenz und ziehen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Fahrgäste vom Umweltverbund ab. Damit die privaten Mobilitätsdienste also überhaupt einen Beitrag zur Mobilitätswende leisten können, müssen sie eigentlich nicht in den Innenstädten, sondern an den Stadträndern und auf der letzten Meile eingesetzt werden, wo sie die vorhandenen Versorgungslücken schließen. Das ist aber gerade nicht profitabel.

Und der zweite Steuerungskonflikt?

Der findet auf der Ebene der MaaS-Plattformen statt, die zunehmend eine Koordinationsfunktion im Personennahverkehr einnehmen. Hier müssten die privaten Sharing-Anbieter und Fahrdienste eigentlich im Sinne einer bedürfnisorientierten intermodalen Routenplanung in den ÖPNV integriert werden. Beispiel: Ich möchte von A nach B gelangen und nutze für die erste Teilstrecke das Bike-Sharing, nehme dann den Bus, steige um in die Straßenbahn und buche mir für die letzte Meile einen E-Scooter. Der Punkt ist, dass mich die App als Mobilitätsassistent während der ÖPNV-Nutzung begleitet und mich auf alle Unsicherheiten wie nicht reservierte oder ausfallende Verkehrsmittel, Verspätungen und so weiter hinweist. Das könnten MaaS-Plattformen leisten. Private Plattformen haben allerdings aufgrund ihres Geschäftsmodells den Anreiz, private Anbieter zu bevorzugen, weil diese mehr Geld für die Vermittlung zahlen. Das ist beispielsweise bei Google Maps zu sehen, wo E-Scooter von Lime angezeigt werden, wenn man nach ÖPNV-Verbindungen sucht. Grund dafür ist sehr wahrscheinlich eine wirtschaftliche Verbandelung der beiden Unternehmen. Eine solche Priorisierung privatwirtschaftlicher Dienste ist dem Ziel der Mobilitätswende aber kaum vereinbar und untergräbt die ökonomische Basis der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Die Konflikte, die Sie beschreiben, klingen lösbar. Sollte es nicht möglich sein, eine Priorisierung des ÖPNV durch gesetzliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten?

Sollte man meinen, denn Mobilitätsversorgung ist ein öffentlicher Auftrag, die Kommunen sind Aufgabenträger des ÖPNV. Wie man die Kommunen und Verkehrsverbünde allerdings stärken und davor schützen kann, sich mit transnationalen Konzernen wie Google auseinandersetzen zu müssen, bleibt offen. Eine enorm wichtige Stellschraube ist dabei der Zugang zu und der Umgang mit den produzierten Daten.

Inwiefern?

Die Bewegungsdaten einer einzelnen Person sind beinahe wertlos, die Bewegungsdaten aller User im Netz hingegen sind zusammen ein Vermögen wert. Daraus lässt sich alles über die Bevölkerung ablesen, deren persönliche Vorlieben, deren politische Denkweise, deren soziale Interaktionsmuster. Dass MaaS-Plattformen und private Anbieter diese Daten allein verwerten dürfen, obwohl wir Nutzer:innen sie produzieren, ist meines Erachtens nicht zu rechtfertigen. Die Staudaten von Google, die Echtzeitdaten der Fahrdiensten und Carsharing-Anbietern – das sind Daten von öffentlichem Interesse, die deutlich mehr Nutzen bringen, wenn sie allgemein verfügbar sind. Die Gesellschaft könnte auf dieser Basis eigene unabghängige MaaS-Plattformen entwickeln und Kommunen könnten die lokalen Mobitätssysteme besser auf die Bedarfe der Bevölkerung und die Umwelt anpassen. Das angekündigte Mobilitätsdatengesetz mit sanktionsbewährten Offenlegungspflichten für alle Anbieter im Personennahverkehr wäre hier ein Anfang – wenn es dann mal kommt. Bis dahin sind die Kommunen auf sich allein gestellt.

Was können sie unternehmen?

Berlin beispielsweise hat festgelegt, dass die Nutzung des öffentlichen Raums – also Straßen, Bürgersteige und Parkflächen – durch die Sharing-Anbieter eine Sondernutzung darstellt, vergleichbar mit der Außengastronomie. Diese Sondernutzungen sind genehmigungspflichtig, sodass die Kommune die Möglichkeit hat, einen Deal auszuhandeln: Die Anbieter dürfen den öffentlichen Raum nutzen, wenn die Kommune Zugang zu ihren Daten bekommt. Es wird also ein Anreiz für die privaten Akteure geschaffen, zu kooperieren. Dadurch können Städte das Treiben der Anbieter und dessen Auswirkungen überprüfen und sicherstellen, dass sie wirklich Teil der Mobilitätswende sind und ihre Fahrzeuge besonders dort einsetzen, wo sie sinnvoll sind – und nicht zu einer Überversorgung beitragen. Die Anbieter gehen weitestgehend darauf ein, da sie gelernt haben, dass ihr Geschäftsmodell langfristig nur funktioniert, wenn sie sich zumindest in Teilen an die Notwendigkeiten der Mobilitätswende anpassen; täten sie das nicht, würden sie sich früher oder später selbst ihrer Existenzberechtigung berauben.

Wir halten also die enorme Bedeutung eines gemeinsamen Zugangs zu Mobilitätsdaten fest. Wie kann gewährleistet werden, dass die gesammelten Daten vertraulich und im Sinne der individuellen Privatsphäre behandelt werden?

Bei privaten MaaS-Plattformen ist die Nutzung und der Schutz von Daten eine Black Box. Es braucht hier in jedem Fall eine höhere Transparenz. Die Kommunen selbst arbeiten bei ihren eigenen Plattformen in der Regel eng mit den lokalen Datenschutzbehörden zusammen und sind eher vorsichtig. Es ist allerdings so, dass die DSGVO bei der Frage nach dem Schutz kollektiver Daten sehr große Lücken aufweist, während sie den Schutz individueller Daten akribisch reguliert. Hier ist es wichtig, einen Ausgleich zu finden.

Gibt es hierzu bereits Ansätze?

Eine Methode, die im Gespräch ist, ist die sogenannte Datentreuhand. Dabei werden die Datenrisiken, die aus der Verarbeitung personenbezogener Bewegungsdaten entstehen, nicht nur individuell gedacht, sondern kollektiv – sowohl bezogen auf den Wert der Daten als auch auf deren Schutz. Es wird also eine Dateninfrastruktur entwickelt, die die durch Mobilität erzeugten Daten bündelt und externen Akteuren zu gemeinwohlorientierten Zwecken zur Verfügung stellt – in der Medizin ist so etwas bereits gang und gäbe. Diese treuhänderische Organisation könnte beispielsweise Forschungseinrichtungen das Recht auf die Daten gewähren, um soziale Missstände frühzei-tig zu erkennen.

Intermodalität setzt ein hohes Maß an Agilität und Spontaneität voraus: Nutzende müssen sowohl körperlich als auch geistig fit genug sein, auf einer Strecke schnell umzuschalten und ver-schiedene Dienste in Anspruch zu nehmen. Scooter und Leihräder sind nicht für alle Bevölkerungsteile nutzbar. Es ist also – Stichwort demographischer Wandel – essentiell, dass auch weiterhin niederschwellige ÖPNV-Angebote zur Verfügung stehen. Wie kann dieser Spagat geschafft werden?

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. 20 Prozent der Deutschen haben keinen mobilen Internetzugang und können dementsprechend keine MaaS-Plattformen nutzen. Dass der ÖPNV weiterhin gestärkt werden muss, versteht sich ohnehin. Und auch ÖPNV-Tickets müssen weiterhin analog verfügbar sein. Ansonsten hat die plattformvermittelte Mobilität aber gerade in sozialer Hinsicht einen entscheidenden Vorteil: Die Routenplanung kann personalisiert werden. Gerade für Menschen mit Mobilitätseinschränkung und besonderen Bedürfnissen gibt es keine bessere Option als eine Plattform, die weiß, welche Verkehrsträger ich für meine Wege in Betracht ziehe und welche nicht. Umso wichtiger ist es, dass die Routenplanung nicht durch Werbeanzeigen verzerrt wird.

Es scheint also recht klar zu sein, welche Schritte unternommen werden müssen, um die digitale Mobilitätswende gemeinwohlorientiert zu gestalten. Was ist Ihre Prognose – wird das geschehen?

Langfristig wird viel davon abhängen, wie sich der Markt der MaaS-Plattformen entwickelt. Werden die privaten Anbieter wie Google Maps und FreeNow zu neuen Gatekeepern, sind dauerhafte Steuerungskonflikte zu erwarten. Gelingt es aber mehr Nutzer:innen für öffentliche Mobilitätsplattformen zu gewinnen, dann erhalten wir ein mächtiges Instrument für die sozialökologische Mobilitätswende. Die geplante EU-Verordnung zur interoperablen Ticketbuchung im Personen-nahverkehr stellt in dieser Hinsicht eine Herausforderung für die kommunalen Verkehrsbetriebe dar. Aber digitale Mobilität gehört zum Versorgungsauftrag der Öffentlichen; man sollte nicht da-rauf warten, dass das Silicon Valley das übernimmt. Die Möglichkeiten müssen selbst erschlossen werden. Wenn der öffentliche Sektor sich hier gut aufstellt, bin ich sehr optimistisch, dass die Digitalisierung einen beachtlichen Teil zur Mobilitätswende beitragen kann.

Ich danke Ihnen für das spannende Gespräch.

Zur Person

Dominik Piétron ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Hum-boldt-Universität zu Berlin und forscht zum Themenfeld „politischen Ökonomie des digitalen Kapitalismus“. Im Zentrum seiner Arbeit stehen die Wechselwirkungen von digitaler Technologie und Gesellschaft, insbesondere die sogenannte „Plattformisierung“ von Märkten und den damit verbundenen Transformationsprozessen von Arbeitsbeziehungen, Wettbewerb und Innovationssystemen.