Die Seilbahn als urbane Mobilitätslösung
In Skigebieten schon seit mehr als einem Jahrhundert bekannt, eignen sich Seilbahnsysteme hervorragend, um größere Gefälle auf kurzen und langen Strecken zu überwinden. Hoch über der Landschaft gleiten die Gondeln umweltfreundlich, autonom und nahezu lautlos von A nach B, weshalb sie südamerikanische Städte wie La Paz und Medellín in den letzten Jahren fest in ihre Verkehrssysteme integriert haben. In den mittleren Breiten gilt sie dennoch noch nicht als ernstzunehmende Mobilitätsalternative für den urbanen Raum, obwohl das Potenzial groß ist.
Einzigartiges Potenzial
Ob als Lift im Skiurlaub, als Transportmittel im Vergnügungspark oder als Verbindungselement zwischen Stadtgebiet und Bundesgartenschau – der Einsatz von Luftseilbahnen ist bislang größtenteils eventgebunden und richtet sich primär an Touristinnen und Touristen. Ihr einzigartiges Potenzial, große Entfernungen stets pünktlich ohne Rücksicht auf Straßenführungen und Geländestrukturen zurücklegen zu können, gerät dabei scheinbar in Vergessenheit.
Zusätzlich zu neuen Technologien im
Schweben ohne Hindernis
Dass die Seilbahn ein höchst effizientes und schnelles Verkehrsmittel ist, erleben Passagiere bereits seit Eröffnung der Giessbachbahn im Sommer 1879. Die erste für den Tourismus freigegebene Standseilbahn der Welt führt vom Brienzersee im schweizerischen Kanton Bern auf den anliegenden Hügel und überwindet auf einer Strecke von 345 m einen Höhenunterschied von 93 m – mittlerweile in vier, damals in sechs Minuten. Gemessen am technischen Stand der Zeit ein beeindruckendes Tempo.
Ausgehend vom Alpenraum breitete sich das Konzept Seilbahn sukzessive aus und wird mittlerweile auf allen Kontinenten genutzt. Das Zurücklegen von Höhenmetern, also der ursprüngliche Zweck der „Gondel“, ist bis heute der Hauptgrund für die Implementation eines Seilbahnsystems. So wurde im Jahr 2014 im bolivischen La Paz, einer Stadt mit einem Höhenunterschied von über 1.000 m, mit dem Mi Teleférico ein Seilbahnnetz über eine mehr als 30 km lange Strecke durch den Ballungsraum gespannt, um einerseits das Straßenverkehrsnetz zu entlasten und andererseits mobilitätsbedingte Segregationsdynamiken aufzuweichen. Mit derzeit zehn Linien wird die Transportkapazität des öffentlichen Verkehrsnetzes, das bis zum Seilbahnbau lediglich aus Minibussen bestand, exponentiell erhöht. Täglich nutzen nun mehr als 300.000 Fahrgäste die Seilbahn, die zwischen den tief gelegenen Ausläufern von La Paz, den Steilhängen der Kernstadt und der Hochebene der unmittelbar angrenzenden Millionenstadt El Alto verläuft.
Ähnliche Effekte sind in der kolumbianischen Metropole Medellín sichtbar, in der die in steilen Hügellandschaften gelegenen peripheren Stadtteile bereits seit 2004 mit dem Zentrum verbunden sind. Wie in La Paz konnte auch hier die Mobilität verbessert und die starke Segregationsproblematik aufgehoben werden. Dadurch sank infolgedessen binnen fünf Betriebsjahren sogar die Kriminalitätsrate.
Europa noch zaghaft
Mit einem Marktanteil von 60% ist das im österreichischen Vorarlberg ansässige Unternehmen Doppelmayr der Global Player im Seilbahngeschäft, gefolgt von der Südtiroler Leitner AG, die 35% beansprucht. Die restlichen Marktanteile verteilen sich auf kleinere, ebenfalls im Alpenraum ansässige Unternehmen. Doch obwohl die Produktion und die Idee von Seilbahnsystemen tief in Europa verwurzelt sind, stehen hiesige Städte der Implementation in ihr Verkehrsnetz noch immer vergleichsweise skeptisch gegenüber. Das zeigen unter anderem auch die zahlreichen, teils erst im Endstadium durch Bürgerentscheide oder Bezirksvertretungen, abgelehnten Projekte verschiedener deutscher Großstädte (z.B. in Wuppertal, Hamburg und Köln). In allen Städten war es das Ziel, durch den Bau einer Seilbahn die Erreichbarkeit bestimmter Stadtteile zu erhöhen, die durch Barrieren (Höhenunterschiede, Wasserwege, Bebauung) vom Stadtzentrum abgeschnitten sind. Das Ergebnis: dreimal klar „Nein“. Prominenteste Gegenargumente waren unter anderem die scheinbar zu hohen Kosten und eine etwaige Störung ansässiger Ökosysteme durch den Bau der Stützen.
Infolgedessen bleiben die meisten urbanen Gondelsysteme vorerst touristischer Natur. Die Koblenzer Seilbahn beispielsweise führt von den Rheinanlagen über den Fluss bis zur 112 m höher liegenden Festung Ehrenbreitstein und bietet einen ansprechenden Blick über Rhein und Mosel. Eröffnet wurde sie 2010 im Rahmen der Bundesgartenschau.
Koblenz als Vorbild
Doch auch wenn sich die Koblenzer Seilban aufgrund der dürftig vernetzten Bergstation eher für den Sonntagsausflug als für den Pendlerverkehr eignet, sind ihre technischen Daten zukunftsweisend. Mit einer Förderkapazität von 7.600 Personen pro Stunde weist Deutschlands erste Dreiseilumlaufbahn die weltweit größte Leistungsfähigkeit auf. Mit einer Bauzeit von einem Jahr, und in diesem Fall vergleichsweise niedrigen Baukosten von zwölf Millionen Euro, ist ein solches System in der Praxis durchaus anwendbar.
Die Förderkapazität zeigt, dass sich die Installation einer Seilbahn als urbanes Verkehrsmittel nicht nur aufgrund der ungleich besseren CO2-Bilanz und der abnehmenden Lärmbelastung rentieren würde, sondern auch aufgrund ihrer im Vergleich zu straßenbasierten Verkehrsmitteln weitaus höheren Leistungsfähigkeit. Zudem würde beim innerstädtischen Pendeln viel Zeit eingespart. Ein Beispiel: Mit einer Geschwindigkeit von etwa 21 km/h hätte die Wuppertaler Seilbahn in neun Minuten eine Strecke zurückgelegt, für die ein Pkw im Berufsverkehr etwa die doppelte und ein Linienbus die dreifache Zeit benötigt.
Von den Alpen in die Stadt
Die Beispiele zeigen: Seilbahnen haben das Potenzial, weit mehr zu sein als touristische Attraktionen und Transportmittel. Unternehmen wie Doppelmayr, Leitner und Co. könnten die europäische Stadtmobilität langfristig stark und vor allem positiv in Richtung Nachhaltigkeit und Effizienz verändern. Zur Realisierung dieser Vision braucht es allerdings eine große Portion mehr Mut und Innovationswillen. Fest steht: Das Know-How und die erforderliche Technik sind vorhanden. Was nur noch fehlt, sind kommunale Partner, die sich diesem „Drahtseilakt“ annehmen wollen.