Die Stadt als Ort der Transformation
Im urbanen Raum bündeln sich einerseits unterschiedliche Bedarfe, Notwendigkeiten und Herausforderungen und gleichzeitig Ideen und Visionen für eine Hinwendung zu mehr sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit. Das Zusammentreffen diversifizierter Kompetenzen und Potenziale sorgt für eine Dynamik, die Transformation und Realität einander annähern kann.
Trends geben den Takt vor
Ein Ort der Transformation zu sein, bedeutet eine stetige Auseinandersetzung mit trend-, gewohnheits- und fortschrittsbedingten Herausforderungen. Während die Digitalisierung also weiterhin den Boom von E-Commerce vorantreibt und sich die Arbeitswelt zunehmend flexibilisiert –durch die Corona-Pandemie noch zusätzlich beschleunigt – sind es besonders die dicht besiedelten Stadträume, in denen sich diese Entwicklungen niederschlagen. So entsteht eine einzigartige Handlungsfähigkeit – zumal die soziokulturelle Heterogenität im urbanen Raum für eine hohe Innovationsdynamik sorgt.
Diese Faktoren sorgen für eine Vielzahl an partizipativen, intersektoralen Handlungsweisen im Zeichen der Transformation des urbanen Raums, ausgerichtet an den Bedürfnissen der Zukunft. So sind etwa die weiterhin steigende Anzahl an privaten Pkw und die damit vor allem in Großstädten einhergehende Überfüllung, die stetige Erhöhung der Immobilienpreise im vor- und innerstädtischen Bereich und die Verlagerung individueller Bedürfnisse durch den demografischen Wandel Themen, die vermehrt die Agenden derjenigen erreichen, die ihr Schaffen dem Stadtwandel verschreiben.
Die Verschiebung von Leitbildern
Dass in den Prozessen der modernen Stadtentwicklung eine so hohe Dynamik herrscht und viele kleinteilige Projekte durchgeführt werden, liegt unter anderem darin begründet, dass es im Konsens der modernen Stadtplanung einige planerische Missstände zu korrigieren oder zumindest auszugleichen gilt. Der Leitfaden der „autogerechten Stadt“, der nominell auf Hans Bernhard Reichows gleichnamige Monographie aus dem Jahr 1959 zurückgeht, sorgte in den 1960er- und 1970er-Jahren für eine Transformation hin zu einer Stadtlandschaft, in der das Automobil die vorherrschende Rolle einnimmt. Im Zuge des allgemeinen Klimabewusstseins ist dieses Modell schon lange keine Idealvorstellung mehr, jedoch sind die geschaffenen Strukturen vorhanden und die Straßen in Betrieb.
Während die autogerechte, funktionsgetrennte Stadt lange Wege produziert, die unmotorisiert nicht oder nur schwer zurückgelegt werden können, ist die Stadt der kurzen Wege das Modell, das einhellig als erstrebenswert angesehen wird. Hier sorgen kleinteilige und nutzungsgemischte Raumstrukturen sowie ein breites und sicheres Mobilitätsangebot für schnelle und unkomplizierte Erreichbarkeit – ohne Auto. Im Wesentlichen also das Gegenteil des vorangegangenen Entwurfs.
Viele europäische Vorreiter
Zwar werden überall um den Globus größere und kleinere Anstrengungen unternommen, um sich der Stadt der kurzen Wege anzunähern, ob aus der Bevölkerung heraus oder von politischer Ebene initiiert. So veranlasste Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris, das von Urbanist Carlos Moreno entworfene Konzept der 15-Minuten-Stadt (Ville du quart d’heure), wodurch alle Einwohnerinnen und Einwohner der französischen Hauptstadt innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß oder mit dem Fahrrad alle im Alltag notwendigen Funktionen erreichen können sollen. In diesem Zuge wird das ehemals dürftige Radwegenetz konsequent ausgebaut und der
Ähnliche Ansätze sind beispielsweise in Barcelona oder der japanischen Metropole Kyoto zu beobachten. In Barcelona konnte sich Bürgermeisterin Ada Colau mithilfe einiger Akteure aus der Stadtplanung die nahezu stadtweite Quadratbauweise zunutze machen und bereits fünf Superblocks, die aus drei mal drei Häuserblocks bestehen, komplett vom Durchgangsverkehr befreien. Kreuzungen, die zuvor von tausenden Autos am Tag befahren wurden, dienen nun als Picknick- oder Kinderspielplätze. Was in der Entstehung von Protesten begleitet wurde, wird mittlerweile geschätzt und genutzt, sodass sich die Anzahl der Superblocks in den kommenden Jahren exponentiell erhöhen soll. Ein großer Vorteil: Die Straßenflächen, die umgestaltet werden sollen, sind bereits vorhanden – bloß in anderer Funktion.
Temporäres wird permanent
Ob Interventionen nun auf dem Reißbrett geplant werden oder aktivistisch-partizipativ entstehen: Viele mittlerweile fest in der Stadtlandschaft verankerte Projekte wurden vor ihrer permanenten Implementation als vorübergehende Lösung installiert, um die Alltagspraktikabilität zu prüfen. So könnte es auch den während der Corona-Pandemie vielerorts errichteten Pop-up-Radwegen ergehen, die den Zweck verfolgen, das Infektionsrisiko im ÖPNV durch Mobilitätsalternativen zu verringern. Laut einer MMC Studie soll sich der Radverkehr durch die temporären Wege in den 106 herangezogenen europäischen Städten um bis zu 48 % gesteigert haben. In Berlin sollten sie ursprünglich nur bis Mai 2020 bleiben, dennoch sind sie weiterhin in Betrieb. Anträge auf einen Rückbau, da die zusätzliche Fahrradspur den Autoverkehr beeinträchtige, wurden vom Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die Pop-up-Radwege sind ein weiteres Beispiel für die Energie der Städte, vorhandene Potenziale auch in Krisensituationen für sich zu nutzen.
Interventionen wie diese zeigen, dass es möglich ist, die Leitprinzipien vergangener Jahrzehnte sukzessive zu korrigieren und die Lebensqualität im urbanen Raum in den Vordergrund zu rücken. Dafür bedarf es sowohl in der Bevölkerung als auch vonseiten der Stadtverwaltung Innovationswillen und den Mut, die bestehende Handlungsfähigkeit zu nutzen.