Digitalisierung und die Verkehrswende
Der Studie „Urbane Post-Corona-Mobilität“ von Bayern Innovativ zufolge können individuell buchbare Mobilitätsangebote die Verkehrswende unterstützen, wenn sie wirklich integrativ sind. Gleichzeitig müssten die Angebote aber auch nicht-digital nutzbar sein, um alle Gruppen teilhaben zu lassen. | © Bayern Innovativ GmbH
Das vorhandene Mobilitätsangebot und das daraus resultierende Mobilitätsverhalten sind eng mit der Lebensqualität einer Region verknüpft. Neben den unterschiedlichen Möglichkeiten zur Fortbewegung selbst – ob in und auf Transportmitteln oder durch aktive Mobilität – spielt auch die Aufenthaltsqualität in städtischen Räumen eine große Rolle. Damit steht das gesamte Mobilitätssystem vor vielschichtigen und teilweise gegensätzlichen Herausforderungen, die sich in den Forderungen nach einer Verkehrswende widerspiegeln: Es soll den Menschen in den Mittelpunkt stellen, vernetzter, klimaschonender und inklusiver werden, eine tiefe Integration aller Mobilitätsdienstleister gewährleisten und unterschiedlichste Zahlungsmöglichkeiten in intuitiven Mobilitätsplattformen mit verkehrsträgerübergreifenden Auskünften in Echtzeit bieten. Für mich steht im Zentrum aller Bemühungen der Wunsch nach der Realisierung eines bedarfsgerechten Mobilitätsangebots. Digitalisierung sehe ich als den zentralen Enabler dieser verheißungsvollen neuen Mobilität(-svision). Allein: Der Weg dorthin ist noch holprig und dürfte die eine oder andere Überraschung bereithalten.
Erfolgreiche regionale Pilotprojekte und erste gelungene Integrationen verschiedener Mobilitätsdienstleister lassen die interessierten Endnutzer:innen bereits heute erahnen, wo die Reise hingehen könnte. Die Potenziale sind vielseitig und erstrecken sich über alle Stakeholder des Mobilitätssystems. Ein paar Bereiche möchte ich kurz streifen:
Ein durchgängig such-, buch- und bezahlbares Mobilitätsangebot über digitale Mobilitätsplattformen erlaubt Kund:innen einen einfachen Zugang. Dass ein E-Tretroller-Anbieter integriert ist, ein anderer aber nicht, ist für Nutzende nicht nachvollziehbar. Alle Mobilitätsanbieter – ob ÖPNV, Sharing- oder On-Demand-Angebote – in einer Region zu integrieren, ist für die Kundenfreundlichkeit von großer Bedeutung. Bedarfsgerechte Mobilität muss Kund:innen immer genau die Kombination an Fortbewegungsmöglichkeiten anbieten, die ihrer aktuellen Situation entspricht. Die Möglichkeit beispielsweise, verschiedene Suchprofile zu speichern oder die günstigste, die gesündeste und die schnellste Route zur Auswahl angezeigt zu bekommen, ermöglicht informierte Entscheidungen. Wenn dann noch Störungen zu einer dynamischen Anpassung von Route oder Transportmittel-Kombination führen, ist ein weiterer großer Schritt in Richtung Nutzerfreundlichkeit geschafft.
Auch im Auslastungsmanagement bestehender Infrastruktur und in der evidenzbasierten Umwidmung von Flächen kann Digitalisierung einen wichtigen Beitrag leisten. In dicht besiedelten urbanen Räumen ist der weitere Ausbau von Straßeninfrastruktur für den MIV in aller Regel nicht möglich (und nebenbei bemerkt für mich auch nicht zielführend), eine Taktverdichtung auf zentralen U-Bahn-Strecken aber auch nicht. Die Forderung nach einer klimafreundlicheren Mobilität durch die vermehrte Nutzung großer Transportgefäße läuft schon jetzt an manchem ÖPNV-Knotenpunkt ins Leere. Eine smarte Verkehrsplanung, aber auch die dynamische Steuerung des aktuellen Verkehrs, fußt auf Verkehrsmodi-übergreifender Datenverfügbarkeit. Es gibt einige Beispiele für sogenannte Mobilitätsdatenplattformen, die entsprechende Daten zusammenführen und bereitstellen. Die Mobilithek des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr und der Mobility Data Space seien hier beispielhaft genannt. Proaktive, datenbasierte Planung und Optimierung der Infrastruktur, kombiniert mit dynamischer Auslastungssteuerung, sind in diesem Kontext für mich Zielbilder.
Digitalisierung und die Verfügbarkeit von Daten ermöglichen die Entwicklung neuer Geschäfts- und Bepreisungsmodelle für intermodalen Verkehr. So können beispielsweise On-Demand- und Pooling-Lösungen erst sinnvoll betrieben werden, wenn georeferenzierte Nutzeranfragen in Echtzeit verarbeitet werden können und eine ausreichende Anzahl an Bürger:innen das Angebot nutzt. Auch der Zugang zu althergebrachten Mobilitätsangeboten kann durch Digitalisierung völlig neu gedacht werden: Die Umsetzung von E-Tarifkonzepten ist hier ein Beispiel.
Ein wichtiger nächster Schritt wäre die Integration von Sharing-Angeboten mit dem ÖPNV in einem Tür-zu-Tür-Ticketing. Auch eine automatische Deckelung nicht nur auf Tages-, sondern auch auf Wochen- bzw. Monatsebene würde die Attraktivität deutlich steigern. Durch Gamification-Ansätze und Incentivierungen, wie etwa Rabattaktionen, lassen sich in Zukunft sicher auch noch Potenziale in der Auslastungssteuerung heben.
Wie oben bereits angeklungen bringt die Umsetzung jedoch einige Stolpersteine mit sich. Für mich sind sie eher in nicht-technischen Bereichen angesiedelt. Natürlich müssen Funktionalitäten in Apps integriert werden, Wege gefunden werden, Identitäten der Nutzer:innen über Stakeholder hinweg zu teilen, ohne gegen Datenschutzgrundlagen zu verstoßen etc., aber die dafür nötigen technologischen Grundlagen haben wir bereits. Es sind rechtliche Rahmenbedingungen, Firmenstrategien, regional orientierte Verkehrsverbünde, starre Tarifstrukturen und fehlende Ressourcen (ob Geld, Personal oder Fläche), die die Umsetzung einer vernetzten Mobilitätswelt so mühsam gestalten. Wesentlich sind auch unklare Rollen und Zuständigkeiten sowie mangelndes Vertrauen zwischen den Stakeholdern. Durchaus nachvollziehbar, sind sie doch in der Vergangenheit häufig als Konkurrenten aufgetreten. Auch arbeiten nicht immer Menschen mit den passenden Kompetenzprofilen an den wichtigen Schnittstellen – kaum verwunderlich in einem System, das bis vor Kurzem noch sehr technisch geprägt war. Change-Management, lernende Organisationen, lebenslanges Lernen dürften Schlagworte sein, die die nächsten Jahre auf dem Weg zur Verkehrswende prägen.
Wer kann bei diesen komplexen Herausforderungen in eine gestaltende und moderierende Rolle schlüpfen? Ein Beispiel: Die Landeshauptstadt München hat vor gut zwei Jahren bestehende Strukturen aufgebrochen und ein Mobilitätsreferat gegründet, in dem Kompetenzen zur Umsetzung der Verkehrswende gebündelt werden. Mitte 2021 wurde die „Mobilitätsstrategie 2035“ im Stadtrat beschlossen und damit ein klarer Umsetzungswille demonstriert. In 19 Teilstrategien werden nun sukzessive Bausteine zur konkreten Umsetzung der Strategie formuliert. Teilstrategien beziehen sich beispielsweise auf Bereiche wie Shared Mobility, Digitalisierung, ÖPNV, Multimodalität, Steuerung des Verkehrs, aber auch soziale Gerechtigkeit oder Fußverkehr.
Dr. Mara Cole
Dr. Mara Cole | © privat
befasst sich seit Anfang des Jahres 2023 im Bereich einer städtischen Verwaltung mit Herausforderungen der geteilten und vernetzten Mobilität. Zu ihrem Aufgabenspektrum gehören Themen wie Mobilitätsplattformen, Tarif und Vertrieb. Zuvor förderte Dr. Mara Cole als Leiterin der Themenplattform Vernetzte Mobilität des Zentrum Digitalisierung. Bayern (getragen von der Bayern Innovativ GmbH) den interaktiven Dialog und Wissenstransfer zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit im Kontext von vernetzter Mobilität und Digitalisierung. Bis 2016 war sie in der Forschungseinrichtung Bauhaus Luftfahrt e.V. unter anderem als stellvertretende Teamleiterin und Forschungsgruppenleiterin tätigt. Dr. Mara Cole hat Ethnologie studiert und in Psychologie promoviert.
Autorin
Dr. Mara Cole