Köln: 11.–12.06.2025 #polismobility

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Den Schwarm im Blick

Echtzeitdaten für Verkehrsmanagement und Verkehrsplanung

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Im Gespräch mit Ralf-Peter Schäfer, VP Product Management bei TomTom

© TomTom

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Herr Schäfer, die Erfassung und Verarbeitung digitaler Daten gilt als einer der Schlüssel für das Gelingen der Verkehrswende. Wo stehen wir diesbezüglich?

Wir sind diesbezüglich schon sehr weit. Unser Unternehmen etwa kann bis zu 30 % des Echtzeitverkehrs in rund 80 Ländern beobachten. Das liegt an der hohen Skalierbarkeit der Daten und natürlich an der hohen und stetig wachsenden Zahl der rollenden Datenquellen. Dazu tragen Partnerschaften mit Unternehmen aus den Bereichen Smartphone-Apps und Kartenanwendungen, Flottenmanagement-Lösungen und Festeinbauten für Pkw und Lkw bei. Ich habe mal mit 200 Taxen in Berlin angefangen. Inzwischen sind wir bei 600 Mio. Fahrzeugen weltweit.

Wie generieren Sie diese Daten?

Das von uns schon vor vielen Jahren ausgerollte System basiert auf sogenannten Floating-Car-Daten, die im Wesentlichen aus der Navigation und dem Flottenmanagement stammen. Als Marktführer in der Verkehrsinformation ist TomTom in vielen Einbaugeräten zu finden, so bei allen großen deutschen, aber auch anderen europäischen und asiatischen Herstellern. Und aus dieser riesigen Community schicken die Nutzer:innen auch Infos an uns zurück. Wir erhalten so anonymisierte Parameter, wie etwa Geschwindigkeit, Standort etc.

Wo liegt der Hauptnutzen für die Verkehrswende?

Entscheidend für die Verkehrswende ist vor allem, dass sich seit einigen Jahren auch der öffentliche Bereich erkennbar in Richtung Digitalisierung bewegt – damit meine ich vor allem die Bereiche Verkehrsplanung und -management. Im Vergleich zur Industrie ist es zwar noch ein recht schleichender Prozess, aber es geht doch erkennbar voran. Jahrzehntelang hatten die Verkehrsmanagement-Behörden auf die Nutzung von Straßeninfrastruktur gesetzt, um den Verkehrsfluss zu messen, wobei die Daten im Wesentlichen nur auf Autobahnen und großen Hauptstraßen verfügbar waren.

Was genau meinen Sie mit der Infrastruktur?

Ich meine damit die konventionelle Verkehrsmess-Infrastruktur, bestehend aus einer Vielzahl an Kameras, Induktionsschleifen, Infrarotsensoren etc. Darauf ist man heute zunehmend weniger angewiesen, um den Verkehrsfluss zu messen. Eine solche Infrastruktur ist teuer in Aufbau und Unterhalt, außerdem liefert sie längst nicht alle relevanten Antworten. Vor diesem Hintergrund erkennen immer mehr Verkehrsplanungs- und -managementbehörden, dass es ein kollaboratives Modell braucht, und kaufen die entsprechenden Daten bei uns oder beim Wettbewerb ein und verknüpfen diese mit vorhandenen Daten.

Ohne Angst vor dem gläsernen Autofahrer bzw. Autofahrerin?

Wir von TomTom verkaufen keine personalisierten Messdaten, sondern ausschließlich Ableitungen wie zum Beispiel die Geschwindigkeit. Es geht um kollektive Informationen, nicht um die Daten Einzelner. Wir haben nicht den Fisch im Blick, sondern immer den Schwarm. Das Ziel ist, dass die Community profitiert, zum Beispiel durch weniger Staus.

Welche Behörden nutzen denn schon solche Daten?

Eine der ersten war beispielsweise die Verkehrszentrale Berlin. Die startete das Projekt schon vor mehr als zehn Jahren. In Deutschland nutzen unter anderem auch Düsseldorf und Frankfurt am Main über Partner wie GEVAS und PTV die Verkehrsdaten von TomTom für das Verkehrsmanagement und die Verkehrsplanung. Auch die erst neu gegründete Autobahn GmbH hat das so entschieden: Der Trend zur Nutzung von fahrzeugbasierten Verkehrsdaten ist klar sichtbar. Und das ist nicht überraschend, denn die Vorteile liegen auf der Hand.

Welche sind das denn – neben der von Ihnen genannten Kostenersparnis?

Die so generierten Daten liefern viel bessere Informationen, auf deren Grundlage man viel besser Entscheidungen treffen kann. Wo drückt der Stau in der Stadt XY? Wo habe ich den nervigsten Stau am Morgen? Wie sollte ich meine Maßnahmen planen, um den besten Effekt zu erzielen? Jahrzehntelang basierte die Bundesverkehrswegeplanung auf Induktionsschleifen und Simulationen. Heute verfügen wir über flächendeckende Verkehrsdaten in Echtzeit.

Simulationen sind also überflüssig?

Wenn es um den jeweils aktuellen Status quo geht, ja. Denn die Daten zeigen ja an, wo es gerade läuft im System und wo es hakt. Auch Rückblenden sind damit kein Problem. Simulationen haben jedoch weiterhin ihre Berechtigung, wenn es um Vorhersagen oder konkrete Lösungen geht, um Zukunftsszenarien zu berechnen, z.B. um Baumaßnahmen zur Lösung von Verkehrsproblemen zu bewerten.

Wer jeden Morgen in einer beliebigen Großstadt im Stau steht, wünscht sich vermutlich eine Extra-Spur …

Aber genau das sollte aus Sicht der Verantwortlichen nicht die Lösung sein. Staus entstehen dann, wenn die Kapazität kleiner ist als die Nachfrage. Das lässt sich zu jeder Rushhour oder – auf der Autobahn – während der Ferien erkennen. Einfach neue Infrastruktur zu bauen, ist der falsche Ansatz, weil mit mehr Infrastruktur auch die Nachfrage erhöht wird. Stattdessen muss man sich Gedanken machen, welchen Modal Split man in seiner Stadt haben möchte. Das ist ein politischer Planungsaspekt. Er hat etwas mit der Verlagerung von der Straße auf andere Verkehrsträger zu tun. Und dabei können wir mit unseren Daten auch helfen: Wir machen verständlich, wo die größte Verkehrsnachfrage besteht und wo die „Bottlenecks“ liegen. Dafür müssen Sie keinen Rentner mehr an die Kreuzung setzen, der die Autos zählt.

Wir haben bislang nur von Autos als Datenquellen gesprochen. Was ist mit den anderen Verkehrsträgern?

Auch E-Bikes, Scooter etc. werden verstärkt Daten liefern. Wir sehen da gerade eine hochspannende Entwicklung. Insbesondere beim Rad ist das Wachstum phänomenal. In Kopenhagen gibt es schon Projekte zur Verhinderung von Staus – und damit meine ich Fahrrad-Staus ...

TomTom und Ampel-Spezialist Swarco kooperieren, um die „My City“-Plattform mit Verkehrsdaten zu versorgen. Was hat es damit auf sich?

Dabei werden Daten zur Verkehrsbeobachtung und Steuerung in Städten genutzt. Die fahrzeugbasierten Verkehrsdaten von TomTom ergänzen dabei die vorhandenen Infrastrukturmessungen vor den Kreuzungen mit wertvollen Zusatzinformationen.

Was passiert, wenn das Straßennetz schlicht und einfach überlastet ist?

Dann lässt sich zumindest noch eine Transparenz schaffen, indem der Stau in Navigationssystemen angezeigt und die voraussichtliche Verzögerung kalkuliert wird. Für den anderen Fall, also wenn es noch Kapazitäten im Netz gibt, können bestimmte Straßen priorisiert werden oder bessere Ausweichrouten-Empfehlungen über die Navigation erfolgen.

Eine weitere Kooperation wurde Anfang des Jahres verkündet. TomTom gründet zusammen mit Amazon Web Services (AWS), Meta und Microsoft die Overture Maps Foundation unter der Leitung der Linux Foundation mit dem Ziel der Entwicklung interoperabler offener Kartendaten. Worum geht es hierbei konkret?

Die Kartierung der physischen Welt für immer mehr Anwendungsfälle ist eine äußerst komplexe Herausforderung, die keine Organisation allein bewältigen kann. Die Branche muss sich zusammenschließen, um diese Aufgabe zum gegenseitigen Nutzen aller zu bewältigen.

Das Ziel der Overture Maps Foundation ist es, eine qualitativ hochwertige, offene Kartendatenbank aufzubauen, die Mapping-Anwendungen für eine Vielzahl von Branchen unterstützt.

Konkret geht es darum, ein universelles, offenes Karten-Framework bereitzustellen, das auf einem globalen Standard basiert. Es soll allen Beteiligten den einfachen Datenaustausch ermöglichen und ein Ökosystem etablieren, um Kartendaten auf effiziente Weise gemeinsam zu nutzen.

Dafür definiert die Overture Maps Foundation zum Beispiel ein gemeinsames, gut strukturiertes und dokumentiertes Datenschema und treibt dessen Einführung und Verbreitung aktiv voran. Außerdem wird die Interoperabilität vereinfacht, indem ein System bereitgestellt wird, das Entitäten aus verschiedenen Datensätzen mit denselben realen Entitäten verknüpft. Um auch professionelle Anwendungen unterstützen zu können, wurde ein ausgeklügelter und umfangreicher Validierungsprozess installiert, um Kartenfehler, Brüche und mutwillige Falschmeldungen zu erkennen und sicherzustellen, dass Kartendaten möglichst frei von Fehlern sind.

Die Mission der Overture Maps Foundation entspricht voll und ganz unserer Vision bei TomTom, dass die Welt ein offenes und kollaboratives Ökosystem braucht, um aktuelle, genaue und verlässliche Karten auf globaler Ebene zu erstellen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass die Overture Maps Foundation kollektiv an einer gemeinsamen Basiskarte bzw. Datenbank mit Kartendaten arbeitet – es ist nicht das Ziel, ein fertiges Kartenprodukt zu liefern. Vielmehr soll Entwickler:innen die bestmögliche Basis geboten werden, um anschließend darauf aufbauend eigene branchen- und fallspezifische Lösungen aufbauen zu können, etwa zur Suche oder Routenplanung, für die Navigation, zur Darstellung von Verkehrsinformationen oder für das digitale Cockpit für Automobilhersteller.

Der besondere Charme des Modells der Overture Maps Foundation besteht darin, dass sie Unternehmen, NGOs, Forscher:innen, Regierungen und anderen Organisationen offensteht und mit jedem neuen Mitglied und Beitragenden sich die Qualität der Datenbank weiter verbessern wird, da sich die Quellenlage ausweitet – und so die Basiskarte automatisch für weitere Anwender:innen und Beiträger:innen interessant wird. TomTom spricht in diesem Zusammenhang von einem Schwungrad, das mit jedem neuen Mitglied an Fahrt gewinnt.

Wie lautet Ihre Prognose: Brauchen wir irgendwann überhaupt noch Ampeln, Schilderbrücken etc.?

Beim flächendeckend autonomen Fahren wäre diese Infrastruktur eigentlich überflüssig: Jedes Fahrzeug wäre mit jedem verbunden, alles wäre synchronisiert. Aber das ist natürlich sehr weit nach vorne geguckt.

Gestatten Sie noch eine letzte Science-Fiction-Frage: Würde die Herausnahme des menschlichen Faktors beim Autofahren, also Drängeln, Spielen mit dem Gas etc., nicht einen besonders großen Klimaschutzeffekt nach sich ziehen?

Wenn wir alle in autonom fahrenden Fahrzeugen unterwegs wären, würde das zutreffen. Dann könnten zum Beispiel an einer Ampelkreuzung viel mehr Fahrzeuge die Grünphase nutzen. Die große Herausforderung dürfte in der Übergangszeit liegen, im Mischbetrieb also. Denn die schon jetzt eingesetzten Abstandstempomaten halten die gesetzlichen Vorgaben strikt ein. Menschen agieren oft etwas forscher, lassen also weniger Lücken im Straßenverkehr. Ein Mehr an solcher Abstandstechnik dürfte also zunächst zu mehr Staus führen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

RALF-PETER SCHÄFER

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ist seit 2021 für das globale Produkt-Portfolio im Bereich Verkehrs- und Reiseinformationssysteme sowie für das Routing bei TomTom verantwortlich. Seit Beginn seiner Tätigkeit bei TomTom im Jahr 2006 war der studierte Elektrotechniker im Unternehmen in verschiedenen Führungspositionen im Bereich der Erforschung und Entwicklung von Navigations- und Verkehrsprodukten auf Basis von GPS-Daten tätig. Schäfer und sein Team entwickelten u.a. das weltweit etablierte Verkehrsinformationssystem für die Navigationssoftware von TomTom sowie Navigationslösungen von Drittanbietern im Bereich der Einbau-Navigationslösungen in Pkw und Lkw, im Flottenmanagement und in Smartphone-Applikationen. Ralf-Peter Schäfer arbeitete in verschiedenen Forschungseinrichtungen wie der Deutschen Akademie der Wissenschaften, dem Deutschen Zentrum für Informatik und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), bevor er zu TomTom kam.