Handlungsspielräume und Rahmenbedingungen für die Verkehrswende
In diesem Artikel
- Hindernisse für die Verkehrswende: “Wir wollen, aber können nicht.”
- Finanzierung im Fokus: Vom „Fördermittel-Dschungel“ zur Nutznießerfinanzierung
- Mobilitätspass: Ein neuer Finanzierungsansatz in Baden-Württemberg
- Reform der StVO: Mehr Spielraum für die Kommunen?
- Kulturkampf ums Auto: Das Beispiel Hannover
- Emotionen und Krisen: Warum die Verkehrswende so schwerfällt
- Der Weg nach vorn: Kommunikation und Perspektiven schaffen
Hindernisse für die Verkehrswende: “Wir wollen, aber können nicht.”
“Tempo 30 in der Innenstadt”? Dafür fehlen uns die Befugnisse.“ – „Mehr Radwege? Dafür fehlt das Budget.“ Diese Sätze hört man oft, wenn es um die Verkehrswende in Städten und Gemeinden geht. Viele Kommunen stehen bereit, den Wandel hin zu sauberer, sicherer Mobilität aktiv zu gestalten, doch sie stoßen auf Hindernisse, die oft außerhalb ihrer Kontrolle liegen – aber längst nicht immer. Dank neuer rechtlicher Rahmenbedingungen wie der Novellierung der StVO und alternativen Finanzierungsmodellen sind jedoch erste Schritte möglich.
Finanzierung im Fokus: Vom „Fördermittel-Dschungel“ zur Nutznießerfinanzierung
Mit Blick auf Debatten um das Deutschlandticket wird deutlich, dass Verkehrsfinanzierung eine der größten Herausforderungen für Kommunen bleibt. Burkhard Horn beschreibt die komplizierten Förderstrukturen als “Fördermittel-Dschungel”. Jan Strehmann, Referatsleiter für Mobilität und Wirtschaft beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, ergänzt: „Die größte Herausforderung liegt aber in der unzureichenden Finanzausstattung und damit einer faktischen Handlungsunfähigkeit vieler Kommunen. Besonders sichtbar wird das an den ausbleibenden Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Wir haben berechnet, dass wir einen Wertverlust von 13 Mio. Euro pro Tag bei der kommunalen Infrastruktur zu verzeichnen haben. Mit maroden Straßen, Brücken und Bahnhöfen wird die Verkehrswende nicht gelingen.”
Es gibt jedoch alternative Finanzierungsmöglichkeiten. Ein vielversprechender Ansatz zur Finanzierung der Verkehrswende auf kommunaler Ebene ist die Nutznießerfinanzierung. Dieses Konzept sieht vor, dass nicht nur die direkten Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zur Kasse gebeten werden, sondern auch jene, die indirekt von einem gut ausgebauten ÖPNV profitieren. Dazu zählen beispielsweise Immobilieneigentümer, deren Objekte durch eine bessere Anbindung an Wert gewinnen, oder Unternehmen, die von einer erhöhten Erreichbarkeit profitieren. Instrumente wie Erschließungsbeiträge, erweiterte Parkraumbewirtschaftung oder Tourismusabgaben können hier zum Einsatz kommen.
Mobilitätspass: Ein neuer Finanzierungsansatz in Baden-Württemberg
Eine Studie von civity Management Consultants und BBG und Partner aus dem Jahr 2021 betont die Bedeutung dieser dritten Finanzierungssäule für den ÖPNV und hebt hervor, dass insbesondere Erschließungsbeiträge sowie der Ausbau von Parkraumbewirtschaftung und Tourismusabgaben ein hohes ökonomisches und verkehrliches Potenzial aufweisen. Allerdings sind die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland derzeit noch begrenzt, weshalb die Studie die Länder zum Handeln aufruft, um den Kommunen mehr Spielraum bei der Umsetzung solcher Finanzierungsinstrumente zu geben.
Baden-Württemberg plant die Einführung eines Mobilitätspasses als neues Finanzierungsinstrument für den ÖPNV. Dieses Instrument soll es Kommunen ermöglichen, durch eine Abgabe von Einwohnern oder Kfz-Haltern zusätzliche Mittel für den Ausbau des ÖPNV zu generieren. Im Gegenzug erhalten die Zahlenden ein Guthaben in gleicher Höhe, das für den Erwerb von ÖPNV-Zeitkarten, wie etwa das Deutschlandticket, genutzt werden kann. Die gesetzliche Grundlage hierfür wird derzeit im Rahmen des Landesmobilitätsgesetzes geschaffen, eine Einführung ist jedoch noch nicht erfolgt.
Reform der StVO: Mehr Spielraum für die Kommunen?
Eine weitere wichtige Stellschraube für die Verkehrswende in Kommunen ist der aktuell geltende Rechtsrahmen in Form des neuen Straßenverkehrsrechts. Es herrscht Konsens, dass es sich um einen ersten wichtigen Schritt in Richtung kommunale Autonomie handelt. Horn kommentiert: „Das ist ein erster hilfreicher, aber in vieler Hinsicht noch nicht ausreichender Schritt.“
Auch Strehmann bewertet die Änderungen nicht als ausreichend: „Der ‘besondere Gefahrennachweis’ der StVO hätte gerne umfassender als nur bei den jetzt ergänzten Ausnahmefällen entfallen können. Ein bisschen mehr Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Kommunen vor Ort hätte der Reform also gutgetan. Sobald die noch ausstehende Verwaltungsvorschrift zur StVO veröffentlicht ist, werden wir aber in vielen Kommunen Maßnahmen in Folge dieser Reform sehen.”
Horn betont jedoch: „Wenn man als Kommune die Verkehrswende voranbringen will, hat man schon jetzt Möglichkeiten, die viele Städte bisher noch nicht ausreichend nutzen. Es ist einfach zu sagen: ‚Wir dürfen eigentlich noch gar nicht, wir wollen ja, aber wir können nicht.‘ Statt sich zu verstecken, wäre es sinnvoll und wichtig zu schauen, was mit ein wenig Kreativität auch jetzt schon möglich ist.“
Kulturkampf ums Auto: Das Beispiel Hannover
Neben rechtlichen und finanziellen Hürden erschwert der gesellschaftliche Widerstand den Fortschritt der Verkehrswende. Ein Beispiel ist Hannover, wo der Plan einer autofreien Innenstadt massive Kontroversen auslöste. Oberbürgermeister Belit Onay plante, die Innenstadt bis 2030 weitestgehend autofrei zu gestalten, um Fußgänger:innen, Radfahrer:innen sowie den ÖPNV zu priorisieren. Doch das Vorhaben stieß auf erheblichen Widerstand – sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung.
Die Debatte erreichte im Sommer 2024 ihren Höhepunkt, als der Stadtrat das ursprüngliche Konzept der fast autofreien Innenstadt zugunsten eines Kompromisses kippte. Dieser sieht weiterhin 4.000 Parkplätze und kostenloses Parken ab 18 Uhr vor. Während die Befürworter:innen der Verkehrswende dies als Rückschlag betrachteten, fühlten sich Gegner:innen bestätigt.
Emotionen und Krisen: Warum die Verkehrswende so schwerfällt
Krisen wie die Pandemie oder der Ukraine-Krieg haben die Aufmerksamkeit von langfristigen Themen wie der Verkehrswende abgelenkt. Horn erklärt: „Der Unmut ist nachvollziehbar, wenn man in ohnehin unsteten Zeiten noch die Routinen der Menschen angreift.“
Auch das politische Umfeld hat sich in dieser Zeit nicht zugunsten der Verkehrswende verändert. Dazu kommt das Nichtvorhandensein einer konsistenten Politik auf Bundesebene, wie Strehmann kritisiert. Er fordert daher in der kommenden Legislaturperiode einen „Paradigmenwechsel und verbesserte finanzielle Rahmenbedingungen, damit Städte und Gemeinden wieder in der Lage sind, investieren zu können.“
Der Weg nach vorn: Kommunikation und Perspektiven schaffen
Wie kann die Verkehrswende dennoch gelingen? Strehmann betont: „Eine frühzeitige, transparente und faktenbasierte Kommunikation ist essenziell. Die Lokalpresse kann dabei helfen, Hintergründe zu erläutern und positive Zukunftsbilder zu vermitteln. Letztlich geht es oft um Sorgen, die nicht überhört werden sollten.“
Horn ergänzt, dass ein „Vernunft geleiteter Verkehrswende-Diskurs“ statt apokalyptischer Szenarien helfen könnte, die Menschen für klimagerechte Mobilität zu gewinnen.
Die Verkehrswende bleibt eine Mammutaufgabe – doch mit kreativen Ansätzen, mutigen Reformen und besserer Kommunikation kann sie gelingen.
Autorin
Janina Zogass