Köln: 11.–12.06.2025 #polismobility

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Über die Neugestaltung des öffentlichen Raums, gerechte, gemeinwohlorientierte Flächenverteilung und Beteiligung auf Augenhöhe

INTEGRIERT PLANEN

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Dr. Franziska Kirscher und Lisa Klopf von der Planersocietät sprechen über die Neugestaltung des öffentlichen Raums sowie gerechte und gemeinwohlorientierte Flächenverteilung und Beteiligung auf Augenhöhe.

Rad- und Fußweg in Dortmund zwischen Phoenix-See und Phoenix-West © Planersocietät

Rad- und Fußweg in Dortmund zwischen Phoenix-See und Phoenix-West © Planersocietät

„Verkehrsplanerische Prozesse dauern immer ihre Zeit, wodurch in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen kann, dass die Mobilitätswende auf die lange Bank geschoben wird, auch wenn im Hintergrund viel getan wird.“

Lisa Klopf
Planersocietät

Frau Dr. Kirschner, Frau Klopf, dass der Bedarf an nachhaltiger und zukunftsgerechter urbaner Mobilität mit jedem vergangenen Tag steigt, bezweifelt heute sicher niemand – zumindest niemand mit fundierter Meinung. Sie arbeiten eng mit Kommunen zusammen: Wie würden Sie die momentan herrschende Dynamik beschreiben? Ist schon genug Bewegung in der Sache oder wird die Mobilitätswende auf die „lange Bank“ geschoben?

Kirschner: Erst einmal muss der Begriff Mobilitätwende vom Begriff Verkehrswende unterschieden werden, häufig ist im öffentlichen Diskurs bloß von Letzterem die Rede. Bei der Mobilitätswende geht es darum, für alle Menschen Angebote zu schaffen, überhaupt reibungslos von A nach B zu gelangen. Sobald die Person dann aus der Haustür tritt, sprechen wir von Verkehr. Und tatsächlich ist es so, dass wir auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich weit sind. Gerade in den Kommunalverwaltungen ist großer Handlungswille erkennbar, es ist jedoch immer eine politische Frage, ob dieser dann tatsächlich realisiert wird – denn am Ende hängt es von denjenigen ab, die die Entscheidungen treffen. Um mal ein Beispiel zu nennen: In München gibt es die Sommerstraßen, bei denen Straßen- und Parkraum für einige Zeit zu verkehrsberuhigten Bereichen und Spielstraßen wird, außerdem wird die zweite S-Bahn-Stammstrecke seit einigen Jahren ausgebaut. Es gibt also auf verschiedenen Ebenen Handlungen. Auch in NRW ist vielerorts eine Bewegung in die richtige Richtung vernehmbar, wie z.B. der Radschnellwegausbau in dem Bundesland. Es passiert viel; was fehlt, ist meiner Meinung nach die größere übergeordnete Vision, auf die sich alle einigen können.

Klopf: Politischer Wille entscheidet im Grunde alles. Auch wenn sich eine Kommune die Mobilitätswende auf die Fahne schreibt, passiert nichts, wenn sie nicht mit Nachdruck verfolgt wird. Zusätzlich dauern verkehrsplanerische Prozesse immer ihre Zeit, wodurch in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen kann, dass die Mobilitätswende tatsächlich auf die lange Bank geschoben wird, auch wenn im Hintergrund viel getan wird. Die punktuellen Erfolge zeichnen sich allerdings zunehmend ab, in Köln beispielsweise entsteht immer mehr zusammenhängende Radinfrastruktur.

Kirschner: Es gibt einige Stellen, an denen wir von unseren Nachbarländern lernen können. In Deutschland wird häufig mit Pull-Faktoren gearbeitet, also mit Versuchen, den Umweltverbund attraktiver zu machen. Das passiert andernorts natürlich auch, aber dort werden solche Maßnahmen mit Push-Faktoren kombiniert, indem der motorisierte Individualverkehr durch Restriktionen an Attraktivität verliert. Die Push-Faktoren sind meiner Meinung nach in Deutschland in den letzten Jahrzehnten zu wenig gewesen. Das Zusammenspiel beider Perspektiven ist sehr wichtig – auch wenn es politisch schwerer durchzusetzen ist.

Erschließungsqualität durch den ÖPNV in der Universitätsstadt Gießen – Ausschnitt Innenstadt © Planersocität

Erschließungsqualität durch den ÖPNV in der Universitätsstadt Gießen – Ausschnitt Innenstadt © Planersocität

Als Planersocietät konzentrieren Sie sich auf bedarfsgerechte Raumgestaltung und integrierte Stadtentwicklung. Abseits der Begriffsdefinition per se – was bedeutet „integriert“ in diesem Kontext? Wie gehen Sie vor?

Klopf: Der integrierte Ansatz kommt vor allem aus den diversen Fachdisziplinen, die in unserem Team vertreten sind, von Raum- und Verkehrsplanung über Geografie und Ingenieurwesen bis hin zu Kommunikation. Es geht uns um eine Neugestaltung des öffentlichen Raums, mit gerechter, gemeinwohlorientierter Flächenverteilung. Deshalb setzen wir in unserer Arbeit stark auf Vermittlung; schließlich ist jedes noch so gute Konzept zum Scheitern verurteilt, wenn es mit den Bürgerinnen und Bürgern nicht auf Augenhöhe kommuniziert und diskutiert wird. Uns ist es wichtig, Beteiligungsprozesse – sowohl bei Fachakteuren als auch in der Öffentlichkeit – transparent und verständlich zu gestalten. Die geführten Diskussionen können durchaus emotional werden und erfordern einiges an Argumentationsvermögen und Feingefühl.

Kirschner: „Integriert“ heißt für uns auch, wirklich alle Akteur:innen mitzunehmen und in Planungsprozesse einzubeziehen. Wir sprechen ja über den öffentlichen Raum, in dem sich große Teile des Lebens abspielen, darunter eben auch der Verkehr. Dort hängt alles miteinander zusammen, weshalb es wichtig ist, dass alle Fäden möglichst reibungslos ineinanderlaufen. Zudem muss klar sein: Wenn ich ein Auto im öffentlichen Raum abstelle, kann die Fläche nicht mehr von anderen Verkehrsteilnehmenden genutzt werden. Wenn ich einen Radweg plane, steht die dafür vorgesehene Fläche anderen Nutzungen nicht mehr zur Verfügung. Ohne diesen systemischen Ansatz geht es nicht.

Wie gehen Sie mit Gegenwind um?

Kirschner: Es ist ja tatsächlich so, dass jeder Mensch Mobilitätsexperte ist; schließlich sind wir den ganzen Tag mobil und bewegen uns von A nach B. Daher ist es sehr wichtig, auf die Belange derjenigen einzugehen, die von etwaigen Maßnahmen am Ende betroffen sind. Die Parkdebatte beispielsweise ist ja deshalb so emotional, da das Gefühl entsteht, dass jemandem etwas weggenommen würde, was vorher kostenlos möglich war. Daher verbringen wir viel Zeit mit Datenerhebung, um uns klar vor Augen zu führen, wie der Status quo ist – in diesem Beispiel eben in Bezug auf Parkhäuser, Straßenparkplätze etc. So wird aus der emotionalen Debatte eine sachliche, die oftmals zeigt: Allzu viel Grund zur Sorge gibt es gar nicht. Es geht schließlich nicht darum, Parkflächen abzuschaffen; vielmehr geht es darum, Platz für andere Nutzungen und Grünflächen zu generieren, von denen nicht nur das Klima profitiert, sondern auch die Stadt und die Anwohnerschaft selbst.

Klopf: Man muss sich auch von dem Gedanken lösen, alle gleichzeitig überzeugen zu wollen. Es wird immer Leute geben, die leidenschaftlich gerne Auto fahren und es immer tun werden, was auch vollkommen in Ordnung ist. Wir haben uns nicht zum Ziel gesetzt, das Auto abzuschaffen, sondern vielmehr, den Platz, den es gerade im öffentlichen Raum einnimmt, neu zu verteilen und Raum für alle Verkehrsteilnehmenden zu schaffen. Parkplätze – um bei diesem sehr eingängigen Beispiel zu bleiben – können auch verlagert werden. Ich habe häufig den Eindruck, dass diejenigen, die vehement dagegen sind, am lautesten sind; viele sind aber auch dankbar, dass ihre Kommune ein solches Konzept erarbeiten lässt und umsetzen möchte …

… was man auch daran sieht, dass Sie schon viele Projekte erfolgreich verwirklicht haben. Ein wesentlicher Aspekt, der gegen ein „Weiter so“ im urbanen Mobilitätssektor spricht, ist die Gesundheit, die durch Lärm und Abgase erheblich beeinträchtigt wird. Ist die Umnutzung von Parkflächen ein erster Schritt zu einer gesünderen, lebenswerteren Stadt?

Kirschner: Es ist natürlich auf vielen Ebenen gesundheitsfördernd, im Umweltverbund unterwegs zu sein, also viel zu Fuß zu gehen, Rad zu fahren und den ÖPNV zu nutzen. Auch wissen wir aus Studien, dass Menschen, die ihren Arbeitsweg zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV zurücklegen, eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, an Herz-Kreislaufprobleme zu erkranken und eine höhere Lebenserwartung haben. Zusätzlich haben wir mit jeder Person, die auf eine Autofahrt verzichtet, geringere Feinstaubwerte – vom Lärm ganz zu schweigen. Doch auch die Geschwindigkeit ist ein wichtiger Faktor: Wenn beispielsweise zur Nachtzeit das Tempo von 50 auf 30 km/h gedrosselt würde, wäre die Lärmbelastung ungleich niedriger. Das wirft auch die Frage nach sozialer Gerechtigkeit auf, schließlich sind es größtenteils Menschen mit niedrigem Einkommen, die an vielbefahrenen Straßen wohnen. Es ergibt also durchaus Sinn, dass viele Kommunen sich zusammengeschlossen haben und flächendeckender Tempo 30 ausweisen möchten.

Es steht natürlich außer Frage, dass jede Kommune ihre eigenen Charakteristika mitbringt und daher individuell angepasste Planungsmethoden benötigt. Gibt es überhaupt Prozesse, die sich übertragen lassen? Oder schlagen Sie mit jedem Auftrag ein komplett neues Buch auf?

Klopf: Ich würde nicht sagen, dass es immer ein neues Buch ist, es ist aber in jedem Fall ein neues Kapitel. Die grundlegenden Ziele und Rahmenbedingungen ähneln sich sehr, es sind eher die Umstände vor Ort, also Faktoren wie die Raum- beziehungsweise Siedlungsstruktur und die Topografie, die einer Einzelfallbetrachtung bedürfen. Diese sind allerdings sehr prominent. Wir erarbeiten beispielsweise momentan ein Mobilitätskonzept für die Stadt Wuppertal, wo ein kollektiver Umstieg auf das Fahrrad nicht ohne Weiteres zu realisieren ist. In dem Kontext kommt dann auch noch das Thema Demografie und die individuellen Bedürfnisse der Bevölkerung zum Tragen. Außerdem spielen auch die politischen Ziele eine große Rolle, einige Kommunen beharren auf bestimmte Themen, die für andere tabu sein können, da sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Manche Maßnahmen sind übertragbar, aber die individuelle Betrachtung überwiegt definitiv.

Nun ist der ÖPNV ja offenkundig einer der Faktoren, an denen sich auf lange Sicht entscheiden wird, ob die Mobilitätswende eintreffen wird oder nicht. Die Autolobby bringt den langsamen Ausbau gern als Argument an und betont, ein Verzicht auf das Auto sei noch gar nicht möglich. Woran liegt es, dass das Tempo nur so langsam erhöht wird? Sind auch hier Raumkonflikte entscheidend?

Klopf: Zunächst einmal würde der ÖPNV natürlich auch von weniger Autos und Staus auf den Straßen profitieren und zuverlässiger werden. Tatsächlich ist das Problem aber meist nicht die Flächenverfügbarkeit, sondern die Finanzierung. Viele Kommunen würden gern Angebotsoffensiven starten, wissen aber nicht, wie sie diese bezahlen sollen. Hinzu kommt, dass Pandemie-bedingt die Fahrgeldeinnahmen, die wichtigste Finanzierungsquelle des ÖPNV, stark zurückgegangen sind und ungewiss ist, wie sich die Situation entwickelt. Ich sehe hier den Bedarf eines Umdenkens auf Bundesebene, da Fördermittel und Subventionen vielerorts schlicht nicht ausreichen, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

Kirschner: Während der motorisierte Individualverkehr seit Jahrzehnten massiv gefördert wird. Allerdings: Ein sehr großer Anteil der Wege, die in den Städten zurückgelegt werden, beträgt unter fünf Kilometer. Das ist eine Distanz, die für die meisten Menschen auch mit dem Fahrrad machbar ist. Ein schnellerer Ausbau des ÖPNV und der Radinfrastruktur ist natürlich unverzichtbar, aber Verkehrsträger können, nicht nur auf kurzen Strecken, auch kombiniert werden (Stichwort Multimodalität und Digitalisierung), um bereits eine Verlagerung herbeizuführen, obwohl die große Transformation noch nicht vollzogen ist. Diese Zwischenschritte sind elementar – und es werden immer mehr.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Dr. Franziska Kirschner © Planersocietät

Dr. Franziska Kirschner © Planersocietät

Dr. Franziska Kirschner ist Projektleiterin bei der Planersocietät und Ansprechpartnerin für die Themen Parkkonzepte und Reallabore. Zuvor war sie als Beraterin bei der ONE Business & Technology angestellt und arbeitete u.a. im DB-Projekt „ITonICE“. Die studierte Geografin promovierte bei Prof. Lanzendorf an der Goethe-Universität Frankfurt zum Thema „Mobilität und Parken im urbanen Quartier“.

Lisa Klopf © Planersocietät

Lisa Klopf © Planersocietät

Lisa Klopf (M. Sc.) ist seit 2020 bei der Planersocietät tätig. Die Projektleiterin absolvierte ihr Geografiestudium an der Universität Köln mit dem Schwerpunkt „Stadt- und Regionalentwicklung“ und ist Expertin in Sachen ÖPNV- und Erreichbarkeitsplanung. Zudem hat sie sich während ihrer Zeit beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) intensiv mit der Mobilität im ländlichen Raum beschäftigt.

Autor:

David O´Neill