Künstliche Intelligenz für neue Mobilitätskonzepte
Im Bereich maschinelles Lernen (ML) und künstliche Intelligenz (KI) hat sich in Deutschland im vergangenen Jahr einiges bewegt, wie die Folgestudie zur „IDG-Studie – Machine Learning / Deep Learning 2019“ indiziert. Erneut wurden Unternehmen unterschiedlicher Größe zu ihrer Einschätzung bezüglich ML und KI befragt. Im Vergleich zu 2019 stieg die Zahl der Firmen, die sich mit Machine Learning (ML) beschäftigen, um 20 Prozent auf fast 73 Prozent. Deutsche Firmen haben somit den Stellenwert von künstlicher Intelligenz und Machine Learning erkannt, so die Zusammenfassung der Studie.
Die Bandbreite der Einsatzgebiete für die Zukunftstechnologien ist groß: Ob in der Industrie, im Bereich Energieversorgung, in Transport, in Logistik und Verkehr, jedoch auch im Gesundheitswesen und nahezu allen weiteren Branchen halten KI und ML Einzug.
Die Top-4-Plätze der eingesetzten KI- und ML-Applikationen werden belegt von Sprachanalyse (51 Prozent), gefolgt von Bilderkennung, Textanalyse und dem Übersetzen von Texten (mit jeweils 46 Prozent), wie die Studie ergibt. Die Art des Einsatzes variiert jedoch nach Unternehmensgröße. So setzen große Firmen eher auf die maschinelle Erfassung großer Dokumentenbestände und auf die Aufwertung von Planungssystemen und nutzen ML für die Gesichtserkennung (52 Prozent), optische Zeichenerkennung (56 Prozent) sowie für Planungssysteme (54 Prozent).
Verkehrssteuerung und autonomes Fahren
Die Gesichts- und optische Zeichenerkennung spielen im Verkehrssektor respektive in der Verkehrssteuerung einerseits und im Bereich der Entwicklung autonomer Fahrzeuge andererseits eine entscheidende Rolle. So etwa beobachten intelligente Kameras im Rahmen von Assistenzsystemen das Verkehrsgeschehen auf den Straßen und nehmen eine „semantische Segmentierung“ vor: Sie erkennen Objekte, Verkehrszeichen und andere Verkehrsteilnehmer und unterscheiden sie voneinander, wie Professor Anton Kummert vom Lehrstuhl für Allgemeine Elektrotechnik und Theoretische Nachrichtentechnik an der Bergischen Universität Wuppertal berichtet. KL und ML sind Schlüsseltechnologien, wenn es um Mobilitätskonzepte der Zukunft geht.
Professor Anton Kummert ist einer Gründungsdirektoren des interdisziplinären Zentrums für „Machine Learning and Data Analytics“ (IZMD), angesiedelt an der Bergischen Universität. Mit der Einrichtung verfolgt die Bergische Universität Wuppertal das Ziel, eine fakultätsübergreifende Institution für interdisziplinäre Forschung und Transfer im Bereich der künstlichen Intelligenz, des maschinellen Lernens und der Datenanalyse zu schaffen. Das IZMD verfügt über zwei tragende Säulen: wissenschaftliche Forschung auf den genannten Gebieten sowie Transferaktivitäten und Zusammenarbeit mit der regionalen Wirtschaft, der Zivilgesellschaft, den öffentlichen Institutionen und Intermediären. Die Transfersäule trägt den Namen „Bergische Innovationsplattform für Künstliche Intelligenz (BIT)“ und wird beraten durch einen Transferbeirat. Durch Beratung sowie Schaffung anwendungsnaher Inhalte und Formate sowie fachbezogener Praktika findet darüber hinaus ein Austausch mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs in den einschlägigen Studiengängen statt. Doch es gehe nicht nur um Forschung, sondern explizit auch um den Technologietransfer mit Partnern in der Wirtschaft, so Prof. Kummert.
Sicherheit ist der Dealbreaker
In puncto automatisiertes Fahren und Verkehrssteuerung ruhen die Hoffnungen von Wirtschaft, Politik und Stadtplanern auf den Ergebnissen von Forschungseinrichtungen und Forschungsprojekten wie des Wuppertaler Beispiels. Der Verkehr der Zukunft soll nicht nur intelligenter – sondern auch sicherer werden. Mit der Sicherheit steht und fällt die Umsetzung von innovativen Mobilitätskonzepten unter Einbeziehung automatisierter Komponenten. Der Aspekt der Sicherheit ist etwa mit Blick auf die semantische Segmentierung wesentlich. Denn während der Mensch oft intuitiv Einschätzungen trifft und auf diesen basierend reagiert – etwa, wenn ein Ball auf die Straße rollt – kann die dahinterstehende künstliche Intelligenz nur nach programmierten Algorithmen agieren. Dies erfordert die Simulation eines umfassenden Katalogs an Szenarien, um Unfälle zu vermeiden.
Unfallprognosemodelle für automatisiertes Fahren
„Automatisierte und vernetzte Fahrzeuge werden sich für lange Zeit nicht in allen Teilräumen der Stadt durchsetzen. Dies hat zur Folge, dass bislang angenommene Wirkungen – von der Verkehrssicherheit bis zur Verkehrsleistung sowie räumliche Effekte – neu bewertet werden müssen.“ Unter dieser Problemstellung untersuchen das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. und das Institut für Verkehrssystemtechnik in Berlin, gefördert vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, im Projekt KI4Safety die Potenziale von „Künstlicher Intelligenz für die Verkehrssicherheitsarbeit“.
Zentral ist dabei die Entwicklung eines Unfallprognosemodells, das Unfallhäufigkeiten sowie deren Einflussgrößen an Knotenpunkten mit unterschiedlichen Geometrien vorhersagt. Dabei wird eine große Anzahl von Bilddaten auf sicherheitsrelevante Infrastrukturmerkmale und Muster hin automatisiert analysiert und für die Prädiktion von Verkehrsunfällen genutzt. Weiterhin ist die Identifikation weiterer relevanter Faktoren für hohe prognostizierte Unfallhäufigkeiten wesentlich. Das System soll Unterstützungsleistungen für die praktische Verkehrssicherheits- und Planungsarbeit liefern.
Dabei werden Daten von zum Zeitpunkt von Unfallereignissen herrschenden Umfeldfaktoren, wie Infrastrukturdaten, Wetterdaten, verkehrstechnische Kenngrößen und Verkehrssteuerungsdaten mit korrespondierenden Unfalldaten fusioniert. Mithilfe künstlicher Intelligenz werden Unfallzahlen aus den Daten geschätzt und Einflussfaktoren auf Unfallhäufungen identifiziert. Die Forschenden testen und optimieren das System in Zusammenarbeit mit Polizeibehörden, Unfallkommissionen und Planern.
Beitrag zur Verkehrswende
Die Erwartungen hinsichtlich eines Beitrags zur Verkehrswende durch den Einsatz auf künstlicher Intelligenz basierter Technologie treffen nur unter bestimmten Voraussetzungen zu, wie eine interdisziplinäre Studie der TU Wien aufzeigt. Die Studie prognostiziert eine Reduktion des Verkehrs lediglich unter der Prämisse, dass automatisierte Fahrzeuge als Erweiterung des bestehenden öffentlichen Verkehrs eingesetzt werden – wenn also Fahrzeuge und Fahrten geteilt werden. Andernfalls nehme das Verkehrsaufkommen gar in erheblichem Maße zu, wie die Autoren in Avenue21. Automatisierter und vernetzter Verkehr: Entwicklungen des urbanen Europa ausführen.
Diese Open-Access-Publikation thematisiert die Auswirkungen automatisierter und vernetzter Fahrzeuge auf die europäische Stadt sowie die Voraussetzungen, unter denen diese Technologie einen positiven Beitrag zur Stadtentwicklung leisten kann. Dabei beleuchtet das interdisziplinäre Autorenteam Team der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien zwei Thesen, die im wissenschaftlichen Diskurs bislang wenig Beachtung fanden: „Automatisierte und vernetzte Fahrzeuge werden sich für lange Zeit nicht in allen Teilräumen der Stadt durchsetzen. Dies hat zur Folge, dass bislang angenommene Wirkungen – von der Verkehrssicherheit bis zur Verkehrsleistung sowie räumliche Effekte – neu bewertet werden müssen. Um einen positiven Beitrag dieser Technologie zur Mobilität der Zukunft sicherzustellen, müssen verkehrs- und siedlungspolitische Regulationen weiterentwickelt werden. Etablierte territoriale, institutionelle und organisatorische Grenzen sind zeitnah zu hinterfragen.“