Mobilitätskonzepte als Erfolgsmodell für alles?
Mobilitätskonzepte stehen zunächst einmal für einen Paradigmenwechsel in der kommunalen Bauleitplanung: Aus vor allem nachhaltiger Perspektive wird die Sinnhaftigkeit des Bauens hinterfragt. Und so müssen Bauwillige durch ein Mobilitätskonzept belegen, dass ihr Bauvorhaben keine weiteren Verkehrsprobleme oder unökologische/unsoziale Folgeinvestitionen erzeugt. Das neue Bauen soll sich als Teilbaustein einer politisch erwünschten Mobilitätswende beweisen. Der Blick in die Planungspraxis der USA zeigt: Das Thema könnte in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Hier sind MoKos schon üblicher.
Noch vor einigen wenigen Jahren war das bei uns in Deutschland anders. Da reichte ein einfacher Stellplatznachweis. Was also ist neu und warum ist ein MoKo besser?
Aus der Mobilitätsforschung gibt es dazu noch keine klare Antwort oder gar ein verbindliches Regelwerk. Noch fehlen Daten, die klar und eindeutig belegen, welche Maßnahmen etwas bringen und welche eher in den Bereich Mode, nice to have oder Fehlinvestition gehören: Reicht es wirklich, Pkw-Stellplätze durch günstigere Abstellbereiche für Mikromobilität zu ersetzen? Sorgt das dafür, dass die Leute ihr Mobilitätsverhalten ändern? Oder sorgt das eher für neuen Frust und Chaos, da die Menschen ihr Fahrzeug dann einfach irgendwo anders oder ein paar Straßen weiter parken? Ist Sharing die neue Wunderwaffe? Für was? Haben die in Zukunft wenigen Jungen oder die langlebigen Alten andere Mobilitätskulturen, die wir bisher zu wenig beachten? Muss jeder Bauherr auch gleichzeitig Mobilitätsdienstleister werden? Wer profitiert von Sharing, Pooling oder Riding?
Gute MoKos haben einen Plan B
Nicht alles, was heute als „neue Mobilität“ propagiert wird, hält auch sein Versprechen. Sharing, Leihräder, E-Ladesäulen und Mobilitätsstationen waren vor zehn Jahren hip, werden in der Forschung nun aber eher ernüchternd in Bezug auf ihre Wirkung bewertet. Man muss also nicht jede Kuh durchs Dorf bzw. jede Mobilitätsidee durch die Tiefgarage treiben.
Gute Mobilitätskonzepte differenzieren und stellen sich breit auf. Man hat einen Plan B, wenn sich z.B. die Energiepolitik anders entwickelt, als zum Erstellungszeitpunkt angenommen oder sich Nachfragen oder Fahrzeugflotten verändern. Abstellflächen für Mikro-, Makromobilität und digitale Zusätze sollten so dimensioniert werden, dass man flexibel bleibt und später einfach (ohne Kosten) umrüsten und sich anpassen kann. Ein gutes Mobilitätskonzept prüft, was im konkreten Fall wirklich einen Reisezeitgewinn bringen kann und damit von den späteren Nutzer:innen mit Freude angenommen wird.
Gute MoKos denken raumdifferenziert
Die Forschung hat auch deshalb noch kein Musterkonzept herausgegeben, weil es so ein universell gültiges Muster nicht geben kann. Ein Mobilitätskonzept für einen Standort im urbanen Raum trifft andere Aussagen als eines im suburbanen oder im ländlichen Raum. Manchmal ist der Fokus auf Arbeitswege wichtig, andernorts ist der Freizeitverkehr zu beachten. Oder man muss sich genauer mit dem nahmobilitätsaffinen Umfeld beschäftigen. Der Verzicht auf eine teure Tiefgarage kann genau, also wirtschaftlich und nachhaltig, richtig sein. Andernorts aber ein Fehler, den man dann nachträglich nur schwer ausbaden kann. Im Zweifelsfall wäre eine baurechtliche Sicherung einer flexibel nutzbaren Fläche (Zwischennutzung) zukunftsoffener. Erst wird diese Back-up-Fläche für angesagte Sportarten oder gestapelte Gemüsegärten in Pflanzcontainern genutzt. Später kann dort dann ein Parkregal oder weiteres Baufeld entstehen. Gute Planung grenzt nicht ein, sondern hält Möglichkeiten offen.
Gute MoKos sorgen für WIN-WIN-WIN
Investoren verfolgen nun einmal andere Interessen als die öffentliche Hand oder die vielen verschiedenen Menschen in einer Stadt. Es macht keinen Sinn, hier nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen, die andersdenkende Seite von seiner eigenen Sicht überzeugen oder über den Tisch ziehen zu wollen. Ein Mobilitätskonzept ist dann gut, wenn die unterschiedlichen Denklogiken zur Synthese gebracht werden. Man tauscht sich aus, hört zu und schafft so etwas, das tatsächlich besser ist, weil Mobilität wirklich klug, d.h. passgenau, nachhaltig und zukunftsoffen vorgedacht wird. Erst wenn das am Tisch Geplante in der gebauten Realität der absolute Volltreffer wird, ist das Ziel erreicht.
Gute MoKos qualifizieren
Gute Mobilitätskonzepte sind eine Möglichkeit, das neue Bauen zu qualifizieren, indem man die Frage des Stellplatznachweises etwas cleverer als durch einen steifen Standardschlüssel beantwortet. Das erleichtert die Mobilität von morgen und kann – wenn es gut gemacht wird – an bestimmten Standorten auch einen klitzekleinen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Gute MoKos sollte man einfach mal machen
Die Bedeutung von MoKos sollte man aber auch nicht überbewerten. Sie sind keine Wunderwaffe für schlagartig mehr Sicherheit, Leistungsfähigkeit, Gerechtigkeit oder gar global messbaren Klimaschutz. Sie bergen das charmante Potenzial, dass Kommunen Teilaufgaben der bisherigen Verkehrsplanung auf Private übertragen und diese daraus lukrative Geschäftsmodelle im Sinne von Mobilitätsdienstleistungs- und Parkraummanagementsystemen machen können.
Schlimm ist es nicht, wenn ein MoKo mal scheitert oder nicht zustande kommt. Für die ganz großen strategischen Aufgaben der Verkehrsplanung brauchen wir dann doch andere Instrumente. Also kein Stress. Einfach zusammensetzen und machen.
Prof. Dr. Stefanie Anna Bremer
© privat
ist Professorin für integrierte Verkehrsplanung an der Universität Kassel und Beraterin – u.a. für das Stadt- und Verkehrsplanungsbüro orange edge, das verschiedene Mobilitätskonzepte für Bauvorhaben in Städten oder auf internationaler Ebene erarbeitet. Das Büro orange edge wurde für seine Arbeiten bereits mehrfach ausgezeichnet. In der Forschung entwickelt Stefanie Bremer mit ihrem Team Methoden zur Evaluation oder Bewertung von verkehrsplanerischen Maßnahmen.
Autorin
Prof. Stefanie Bremer