OMA gestaltet zeitgenössischen Boulevard in Bordeaux
In der heutigen Zeit werden Brücken oft nur unter dem Gesichtspunkt ihres technischen Nutzens und ihrer Funktion als Mittel zur Ausdehnung der Stadt und ihrer Peripherie, vor allem durch das Auto, bewertet. Die Rolle der Brücken als urbane Räume an sich ist verloren gegangen. Die Simone-Veil-Brücke wendet sich gegen die derzeitige Besessenheit von Brücken als triumphale Ingenieurleistungen oder ästhetische Statements und gewinnt ihren dynamischen urbanen Charakter zurück, um nach einer alternativen Definition dessen zu suchen, was eine Brücke des 21. Jahrhunderts sein könnte.
Seit 2010 spielt das Architekturbüro OMA eine zentrale Rolle bei der Gestaltung des Stadtentwicklungsgebiet Euratlantique in Bordeaux, das sich in unmittelbarer Nähe des TGV-Bahnhofs im südlichen Teil der Stadt erstreckt. Die Vision der Planer:innen ist es, das Gebiet harmonisch zwischen dem historischen, UNESCO-geschützten Zentrum in den Stadtteilen auf der gegenüberliegenden Flussseite zu integrieren. Bereits 2013 entwarf das Büro eine neue Straßenbahnlinie, die die Viertel Bègles und Villenave d’Ornon miteinander verbindet. In diesem Kontext gewann OMA 2014 auch den Wettbewerb für eine neue Brücke über die Garonne – das erste Brückenprojekt des Büros. Nach mehreren Verzögerungen wurde die Querung nun im Juni feierlich eröffnet, obwohl sie ursprünglich schon 2018 fertiggestellt sein sollte.
Der Entwurf von Rem Koolhaas und Chris van Duijn besticht durch seine „außerordentliche architektonische Geste“, die Fußgänger:innen genauso viel Raum einräumt wie allen übrigen Verkehrsmitteln zusammen. Die Brücke hat eine Breite von 44 Metern, wobei nur ein Drittel davon für Autos vorgesehen ist. Fahrräder und öffentliche Verkehrsmittel erhalten eigene Fahrspuren, während der größte Teil der Fläche als „zeitgenössischer Boulevard“ konzipiert ist. Dieser lineare, unprogrammierte und neutrale Raum erstreckt sich über 549 Meter zwischen den Stadtteilen Bègles und Floirac. OMA verzichtete bewusst auf einen dominanten formalen oder strukturellen Ausdruck und legte stattdessen den Fokus auf die vielseitige Funktionalität und Nutzung durch die Bürger*innen von Bordeaux. Sie entwickelten mehrere Szenarien, wie die Brücke sowohl kulturell als auch kommerziell genutzt werden kann, darunter Märkte, Messen sowie Musik- und Weinfeste. Die dafür notwendige Infrastruktur wurde direkt in das Bauwerk integriert,und einige Sitzmöbel wurden fest installiert.
An den Uferseiten schließt die Brücke durch kleine Parks an das Stadtgefüge an, deren Planung das Landschaftsarchitekturbüro von Michel Desvigne übernahm. Konstruktiv verzichtet die Brücke auf Pylone und ruht stattdessen auf acht massiven Pfeilern, die jeweils von vier Stützen mit einem Durchmesser von 2,5 Metern getragen werden. Der leichte Bogen der Brücke ermöglicht eine ausreichende Durchfahrtshöhe für Schiffe. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren von WSP, dem Berater EGIS und dem Lichtplanungsbüro Lumières Studio.
Autorin
Janina Zogass