Unternehmen und die Mobilitätswende
Die Mobilitätsbranche steht unter enormem Druck: Steigende Kosten, bröckelnde Märkte und eine unklare Zukunft setzen dem Sektor massiv zu. Selbst Vorzeigeunternehmen wie ONOmotion, Hersteller von E-Cargobikes, sahen sich gezwungen, ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Und auch Branchenriesen wie Volkswagen kündigen an, bis 2030 im Rahmen eines Sparprogramms 35.000 Arbeitsplätze abzubauen – eine Entscheidung, die nicht nur die Automobilindustrie, sondern auch Zulieferer wie Bosch und Continental hart trifft. Die politische Unsicherheit tut ihr Übriges: Mit den aktuellen Umfragewerten wächst die Sorge, dass klimapolitische Maßnahmen der vergangenen Jahre nicht nur gestoppt, sondern sogar zurückgedreht werden könnten.
Angesichts dieser Entwicklungen wird die Frage dringlich: Wie können Unternehmen die Mobilitätswende nicht nur überstehen, sondern aktiv mitgestalten? Welche politischen und wirtschaftlichen Hebel müssen bewegt werden, um diese Transformation voranzutreiben?
Politische Rahmenbedingungen – Fortschritt mit Hindernissen
Die Mobilitätswende steht auf politisch unsicherem Fundament. Während Vorgaben wie die “Clean Vehicle Directive” den öffentlichen Sektor zwar verpflichten, emissionsfreie Fahrzeuge im öffentlichen Beschaffungswesen zu bevorzugen, bleiben viele andere Herausforderungen ungelöst. Während der “European Data Act” den Zugang zu Fahrzeugdaten für Drittanbieter erleichtern soll, lassen Fortschritte beim Ausbau der Infrastruktur oder bei klaren Leitplanken auf sich warten.
Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, nennt zentrale Maßnahmen, die Abhilfe schaffen: „Der Schienenverkehr muss gestärkt werden, die Investitionen in die Schieneninfrastruktur sollten mindestens verdreifacht werden. Zudem sollte der ÖPNV, Rad- und Fußverkehr gestärkt werden.“ Auch auf das Deutschlandticket geht sie ein: „Das Deutschlandticket sollte beibehalten und sogar noch preislich verbessert werden.“
Daneben fordert Kemfert strengere Vorgaben auf EU-Ebene: „Die EU-Emissions-Grenzwerte für Neuwagen dürfen nicht abgeschwächt werden, sondern sollten sogar noch verschärft werden.“ Weitere Maßnahmen wie eine Erhöhung der Dieselsteuer und ein beschleunigter Ausbau der Ladeinfrastruktur seien überfällig.
Planungssicherheit – Das fehlende Puzzleteil
Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am DIW © Thomas Bruns
Unternehmen sehen sich mit einem zentralen Problem konfrontiert: fehlende Planungssicherheit. Langfristige Investitionen in Elektromobilität, Ladeinfrastruktur oder klimafreundliche Technologien erfordern stabile Rahmenbedingungen – und genau diese fehlen häufig. Claudia Kemfert betont: „Vor allen Dingen müssen die Rahmenbedingungen stabil bleiben, und es darf nicht ständig Diskussionen über Veränderungen oder Infragestellungen geben.“
Als Beispiel nennt sie die Debatte um das Verbrenner-Aus: „Die Diskussion um das angebliche Verbrenner-Aus ist Gift für die deutsche Autoindustrie.“ Stattdessen plädiert sie für eine konsequente Ausrichtung auf Elektromobilität und konkrete Maßnahmen wie „einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur oder auch Spezial-Stromtarife für Ladestrom.“
Doch für Kemfert geht die Mobilitätswende über Technologie hinaus: „Es geht nicht nur um eine technologische Verkehrswende, sondern auch um ein neues Mobilitätsverständnis. Etwa 90 Prozent aller Fahrzeuge stehen derzeit 23 Stunden am Tag herum. Autos sind keine Fahr-, sondern Stehzeuge, die enorm große Mengen an Infrastruktur und Fläche versiegeln.“ Aus diesem Grund sieht sie nachhaltige Mobilitätskonzepte wie Carsharing, Ride-Hailing oder Fahrzeuge on Demand als unverzichtbare Bausteine für ein wettbewerbsfähiges und zukunftsfähiges Verkehrssystem.
Shared Mobility und Innovationen – Ein Blick auf die Wirtschaft
Auch Augustin Friedel, Mobilitätsexperte und Senior Manager bei MHP, sieht die Dringlichkeit, die Mobilitätswende neu zu denken. Aktuell seien besonders Shared-Mobility-Dienstleister noch von regulatorischen Hürden betroffen. „Die Vorgaben sind stark heterogen, unterscheiden sich von Kommune zu Kommune. Das verursacht enormen Aufwand auf Seiten der Anbieter, da die lokalen Anforderungen zunächst evaluiert werden müssen, bevor sie sich regelkonform aufstellen können.“ Eine Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen sei daher ein wichtiger Schritt.
Zusätzlich kritisiert Friedel die mangelnde Planbarkeit: „Ein weiterer Punkt ist die langfristige Planbarkeit, die teilweise durch Vergaben von Betriebsgenehmigungen und Subventionszusagen mit kurzer Laufzeit nicht möglich ist. Shared-Mobility-Anbieter investieren in die verschiedenen Märkte, das muss sich langfristig lohnen.“
Doch nicht nur die Politik ist gefragt. Friedel sieht auch die Wirtschaft in der Pflicht, stärker zur Transformation beizutragen: „Es fehlen starke Akteure, die ein Wachstum an Shared Mobility und den Wandel zur Elektromobilität schneller ermöglichen. Die Automobilindustrie hat bisher diese Rolle in Europa ausgefüllt. Es werden jedoch weitere finanzstarke und innovative Akteure benötigt, um die Finanzierung, den technischen Fortschritt und die Umsetzung zu sichern.“ Als Vorbild nennt Friedel die USA und China, wo Big-Tech-Unternehmen, Venture-Capital-Fonds, Private Equity oder Pensionsfonds die Transformation der Mobilität gestalten würden.
Ein Blick nach Vorne
Für Unternehmen liegt der Schlüssel zur Mobilitätswende darin, Innovationen strategisch und gezielt voranzutreiben. Augustin Friedel erklärt: „Grundsätzlich sollte ein Unternehmen die Weichen für Innovationen und neue Geschäftsmodelle stellen, wenn es stark auf dem Markt positioniert ist.“ In wirtschaftlich herausfordernden Zeiten sei es schwieriger, die notwendigen Ressourcen bereitzustellen, doch genau dann müsse die Grundlage geschaffen werden, um Innovationen voranzutreiben und gleichzeitig das Bestandsgeschäft abzusichern. Dabei gehe es vor allem um „Kultur, Organisationsformen, Commitment und Verantwortlichkeiten“.
Ein zentraler Erfolgsfaktor sei, neue Geschäftsmodelle datengetrieben und aus Kundensicht zu entwickeln. Er ist überzeugt, dass viele Unternehmen hier mehr investieren sollten, um langfristig erfolgreich zu sein.
Claudia Kemfert hebt hervor, dass stabile politische Rahmenbedingungen entscheidend für Vertrauen in die Transformation sind: „Vertrauen kann nur geschaffen werden durch stabile politische Rahmenbedingungen und Verlässlichkeit.“ Rückwärtsgewandte Diskussionen über eine angebliche Technologieoffenheit seien hingegen schädlich. Mit Blick auf die notwendige Infrastruktur erläutert sie: „Diejenige Technologie sollte gefördert werden, die langfristig die Einhaltung der Klimaziele gewährleistet. Mehrere unterschiedliche Infrastrukturen aufzubauen, ist teuer und ineffizient.“
Auch ein ganzheitliches Mobilitätsverständnis ist aus ihrer Sicht zentral: „Es sollte eine enge Verzahnung von öffentlichem Personennahverkehr und Ride-Sharing-Konzepten auch mit dem Fahrrad geben.“ Solche integrierten Ansätze könnten nicht nur die Attraktivität nachhaltiger Mobilität erhöhen, sondern auch die Umsetzung der Klimaziele unterstützen.
Mit Telefahr-Technologie möchte Vay eine Alternative zum autonomen Fahren bieten. © Vay
Die Mobilitätswende ist kein Selbstläufer. Fehlende Planungssicherheit, zersplitterte Vorgaben und schleppende Infrastrukturprojekte stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Gleichzeitig zeigt sich: Wo die Rahmenbedingungen stimmen, wird Innovation möglich. Das Berliner Start-up Vay etwa plant in diesem Jahr den Start seiner ferngesteuerten Elektrofahrzeuge in Las Vegas – nicht ohne Grund. Dort sind die regulatorischen Voraussetzungen und Marktbedingungen besser aufgestellt als in vielen europäischen Städten.
Die Lehre daraus ist eindeutig: Die Mobilitätswende erfordert klare Leitplanken, verlässliche politische Entscheidungen und eine konsequente Ausrichtung auf Klimaziele. Wirtschaft und Politik müssen Hand in Hand arbeiten, um Fortschritt zu ermöglichen. Denn nur mit entschlossenem Handeln wird es gelingen, die Wende nicht nur zu überstehen, sondern aktiv zu gestalten.
Autorin
Janina Zogass
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