Köln: 11.–12.06.2025 #polismobility

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Technik und Organisation zusammendenken

Urbaner Datenraum

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Im Gespräch mit Dr. Alanus von Radecki, Geschäftsführer des Daten-Kompetenzzentrums Städte und Regionen (DKSR)

Dr. Alanus von Radecki erläutert Potenziale und Anforderungen kommunaler Datenstrategien.© DKSR

Dr. Alanus von Radecki erläutert Potenziale und Anforderungen kommunaler Datenstrategien.© DKSR

Herr Dr. von Radecki, seit rund zwei Jahren gibt es das DKSR – warum eigentlich?

Die Idee hat sich aus der „Morgenstadt-Initiative“ der Fraunhofer-Gesellschaft entwickelt, die ich mehrere Jahre lang geleitet habe. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk aus Instituten, Kommunen und Unternehmen, um die „City of the Future“ vorauszudenken. In diesem Rahmen haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Entwicklung und Verbreitung innovativer Lösungen in Städten viel zu langsam voranschreitet. Dabei müssen wir bekanntlich dringend die Städte transformieren, um die Energie- und Verkehrswende zu schaffen und nötige Klimaanpassungen vorzunehmen. Das ist sozusagen die Kernherausforderung. Es gibt zwar viele gute Ansätze, Pilotprojekte, Reallabore usw. Und es wird durchaus massiv investiert. Aber die Vervielfältigung und Skalierung der Lösungen dauert viel zu lange bzw. sie passiert überhaupt nicht.

Und eine Hürde ist das Thema Daten?

Genau. Ein wesentlicher Grund für die beschriebene Situation ist, dass Datennutzung und -management auf breiter Ebene nicht richtig angegangen werden. Es mangelt einerseits an Grundlagen, wie zum Beispiel Kenntnissen und technologischen Standards, und andererseits an einer adäquaten Organisation, die es der jeweiligen Kommune ermöglicht, auf Daten konkret zuzugreifen und sie mehrwertschöpfend zu nutzen, ohne von Dritten abhängig zu sein. Und genau diese beiden Aspekte haben wir mit DKSR zusammengeführt. Unsere Überzeugung ist, dass es weder ein rein technisches noch ein rein organisatorisches Problem ist. Vielmehr muss man beides zusammendenken. Unsere Lösung dafür ist eine Open-Source-Datenplattform, die wir Kommunen und kommunalen Unternehmen nach Auftrag zur Verfügung stellen. Wir haben uns ganz bewusst dagegen entschieden, unsere Codes unter Verschluss zu halten, und fungieren offen und rein als Dienstleister. Das ist in dieser Form einmalig. Auch die Gesellschafter-Konstellation ist spannend: Vertreten ist die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihrer engen Bindung an Bund und Länder sowie die Deutsche Telekom und zwei mittelständische Software-Unternehmen.

Was hat das DKSR bislang erreicht?

Der Markt für Open-Source-Datenplattformen ist noch sehr klein. Aber in diesem überschaubaren Umfeld sind wir Marktführer. Das haben wir in den zwei Jahren unserer bisherigen Existenz geschafft. Wir haben erste Use Cases mit Kommunen entwickelt, deren Code wir veröffentlicht und zur Verfügung gestellt haben: Den Proof of Concept haben wir also erbracht. Stand Anfang 2023 sind es rund 20 kommunale Partner. Derzeit zünden wir die nächste Stufe, arbeiten unter anderem mit Prag, Porto und Budapest an Lösungen. Wir bewegen uns auf europäischer Ebene.

Die Potenziale kommunaler Datenstrategien sind demnach groß. Wie aber können die Städte den Datenschatz heben?

Im Kern bringen wir datenbasierte Technologie in die Städte. Damit diese funktionieren kann, müssen unsere Auftraggeber jedoch anschlussfähig sein. Das heißt, in Vorbereitung müssen oftmals Kompetenzen aufgebaut werden, um mit Daten umzugehen. Das ist übrigens nicht zwingend ein technisches, sondern auch und insbesondere ein strukturelles, organisatorisches, rechtliches und finanzielles Thema. Hier unterstützen wir beratend in Sachen Datenstrategien. Dazu gehören Antworten auf Fragen wie: Welche Daten habt ihr überhaupt? Auf welche können wir wie zugreifen? Wo liegen diese Daten und wie holen wir sie aus den Silos? Wer ist dafür aktuell zuständig? Welche Systeme müssen miteinander kommunizieren? Es geht um den urbanen Datenraum, den viele Verantwortliche noch nicht auf dem Schirm haben.

Und wann wird’s konkret?

Möglichst schnell. Wir versuchen bereits im zweiten Schritt, Use Cases zu identifizieren, um die Sache einmal in der Praxis durchspielen und zeigen zu können. Wir haben selten den Fall, dass eine Kommune zu uns kommt und sagt: „Wir hätten gerne ,alles mit Sauce’.“ Für die Berliner Stadtreinigung haben wir eine umfangreiche Analyse und nachfolgend den Transfer durchgeführt, das war aber eine Ausnahme. Statt eines großen Komplettpakets bieten wir in der Regel kleine „Entdecker-Pakete“, wie wir sie nennen. Dabei stellen wir eine Plattform mit Dashboard mehrere Monate lang zur Verfügung und machen parallel vielleicht noch eine kleine Inventur der Organisation.

Können Sie einige Beispiel-Cases nennen?

Für die Stadt Mainz haben wir uns mit der Identifikation von Falschparkern an E-Ladesäulen beschäftigt. Wir greifen die Echtzeitdaten der Ladesäulen und von Parksensoren ab, ein Algorithmus kommt zum Einsatz – und die Mitarbeiter:innen des Ordnungsamts können per Smartphone-App informiert werden, wenn etwas nicht korrekt ist. In Köln haben wir eine Basis für bessere Entscheidungen beim Scooter-Sharing gebaut: Disponenten erkennen auf der Karte, wo das Angebot kaum genutzt wird und können entsprechend reagieren. Sie stellen Roller oder auch Leihräder dort hin, wo die Nachfrage größer ist. In Freiburg, um ein drittes Beispiel zu nennen, verstehen wir inzwischen in Echtzeit, wo viele Menschen mit dem Rad unterwegs sind. In diesem Jahr wird es für uns darum gehen, auch die dickeren Bretter zu bohren. Damit meine ich unter anderem die Analyse von Energiedaten ganzer Quartiere oder das Erstellen von Hochwasser-Prognosen.

Flüsse oder Verkehr kennen keine Stadtgrenzen. Wie läuft die interkommunale Zusammenarbeit auf Datenebene?

Meistens ist es für Kommunen schwierig, die eigenen Daten in eine gemeinsame Datenbank zu stecken. Wir schlagen getrennte Plattformen vor, die miteinander kommunizieren dürfen. Weil Städte nicht in derartiger Konkurrenz stehen wie Unternehmen, ist die Bereitschaft, Ergebnisse miteinander zu teilen, erfreulich hoch. Im Rahmen unserer Urban-Data-Community stellen wir die Codes, begleitet durch umsetzungsunterstützende Formate, zur Verfügung. Nehmen wir das Beispiel Freiburg: Jede Stadt könnte die Echtzeiterfassung des Radverkehrs so schnellstmöglich bei sich anwenden.

Wie groß sind die Vorbehalte gegen ein solches Datenmanagement – Stichwort Datensouveränität?

Aus meiner Sicht wird dieser Begriff in Stadtverwaltungen vor allem als Worthülse genutzt. Denn wenn man nachfragt, was das Gegenüber damit genau meint, wird es meist sehr dünn. Dabei lässt sich mit Datensouveränität echter Mehrwert schaffen, indem Daten zugänglich gemacht werden, die sonst nicht nutzbar sind. Wir haben schlicht ein Kompetenz-Gap in diesem Bereich. Letztlich ist es zudem eine Kostenfrage: Technisch ist es nämlich kein Problem, digitale Verträge mit gewünschten Konditionen an Datensätze zu hängen und so die volle Souveränität über die Daten zu behalten. Doch das ist etwas teurer, als auf ein solches Tool zu verzichten. Aufzuzeigen, warum sich diese Investition lohnt: Das gehört ebenso zu unseren Aufgaben.

Zum Schluss noch eine Frage zu einem Buzzword: Wie realistisch ist die Umsetzung des digitalen Zwillings bei Städten?

Wenn man den digitalen Zwilling als originalgetreues digitales Abbild der Wirklichkeit versteht, wird es ihn vermutlich niemals für Städte geben. Kosten und Nutzen stünden nicht in Relation und einige Abläufe können (zum Glück!) voraussichtlich nie ganz algorithmisch simuliert werden. Der realistische Kompromiss ist ein vereinfachtes 3D-Abbild einer Stadt, in das verschiedene Daten integriert werden. Aus unserer Perspektive wird ein solches System dann interessant, wenn man es für Simulationen nutzen kann. Zum Beispiel: Wie verändern sich Emissionen, wenn man bestimmte Eingriffe vornimmt? Hierzu entstehen aktuell spannende Pilotprojekte.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

DR. ALANUS VON RADECKI

ist Leiter des Daten-Kompetenzzentrums Städte und Regionen DKSR. Für die Umsetzung nachhaltiger Innovationen in Städten und Gemeinden arbeitet er seit mehr als zwölf Jahren und hat bereits Städte wie Stockholm, Manchester, Prag und München beraten. Zuvor leitete er unter anderem das Team der Fraunhofer Morgenstadt-Initiative.