Vertikale Mobilität für den Transport und Rettungsdienst
Wie können unbemannte Kleinstfluggeräte eilige medizinische Güter sicher transportieren und Rettungskräfte bei der Vermisstensuche unterstützen? Wie werden vertikal startende Lufttaxis medizinisches Personal zu Patient:innen bringen? Diesen und weiteren Fragen zur vernetzten und automatisierten vertikalen Mobilität wird das neue Center for Vertical Mobility (CVM) in Aldenhoven nachgehen. In Zusammenarbeit des Landes NRW und der RWTH Aachen mit weiteren Hochschulinstituten und Partnern aus der Industrie ist damit ein bundesweit alleinstehendes interdisziplinäres Kompetenz- und Testzentrum entstanden.
Bei einem symbolischen Lift-off auf dem Gelände des Aldenhoven Testing Centers (ATC) haben im Mai 2022 Ina Brandes, seinerzeit Ministerin für Verkehr des Lan- des Nordrhein-Westfalen, und Prof. Andreas Pinkwart, zum damaligen Zeitpunkt Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie in NRW, mit dem Rektor der RWTH, Prof. Ulrich Rüdiger, den ersten unbemannten Flug auf den Weg gebracht. Das Vorhaben sei, so betonten alle Beteiligten, ein wichtiger Bestandteil zum Strukturwandel in der Region.
Das entstehende Kompetenz- und Testzentrum zur vernetzten und automatisierten vertikalen Mobilität verspricht, Maßstäbe in der Entwicklung der Mobilität von morgen zu setzen.© Andreas Schmitter
Vertikale Mobilität: infrastruktur- und wetterunabhängiger Einsatz
„Mobilität ist eine Schlüsselkomponente, durch die die künftige Entwicklung von Be- völkerungs- und Wirtschaftsstrukturen im ländlichen Raum nachhaltig beeinflusst und geprägt wird. Vertikale Mobilität hat das Potenzial, ohne Notwendigkeit einer besonderen Infrastruktur am Boden zu jedem beliebigen Ort zu kommen und Transportleistungen oder Verkehrsdienste anzubieten, und dies jederzeit und bei jedem Wetter“, erläutert Prof. Dieter Moormann, Leiter des Instituts für Flugsystemdynamik der RWTH Aachen. Start und Überwachung des Premierenfluges sowie die Übertragung der Bilddaten wurden über das 5G-Netz von Vodafone sichergestellt, dieses wird als „5G.air“ für hochdynamische Luftfahrtanwendungen am CVM ausgebaut.
Im Fokus der Arbeiten stehen Forschung, Entwicklung und Betrieb von vertikalstartfähigen unbemannten Luftfahrzeugen, etwa für den Transport eiliger Güter, für die Datengewinnung/digitale Produktion und für die Unterstützung von Rettungskräften. Auch geht es um die Erprobung eines sicheren automatisierten Betriebes von vertikalstartfähigen Lufttaxis. Alle Flugsysteme starten und landen vertikal. Eine Landebahn ist dafür nicht erforderlich, allerdings ein sogenannter U-Space als Luftraum, in dem ein gleichzeitiger Betrieb dieser Luftverkehrsteilnehmer auch mit der heute üblichen bemannten Luftfahrt unter sicheren Bedingungen möglich ist. Damit versteht sich das CVM als Ergänzung zu den Forschungsaktivitäten am Aeropark Aachen-Merzbrück und auf dem Innovationsflughafen in Mönchengladbach.
Das entstehende Kompetenz- und Testzentrum zur vernetzten und automatisierten vertikalen Mobilität verspricht, Maßstäbe in der Entwicklung der Mobilität von morgen zu setzen.© Andreas Schmitter
Energiegewinnung in bis zu 1.000 Metern
Weiterhin widmet sich das Testzentrum der Erforschung und Optimierung von sogenannten Flugwindkraftwerken, die effizient und nachhaltig unter Nutzung von Höhenwinden weit oberhalb der Blattspitzen heutiger Windenergieanlagen Energie erzeugen. So wird im Sinne der Energiewende am „Center for Vertical Mobility“ auch der „EnerGlider“ entwickelt – eine Art High-Tech-Drachen, der in bis zu 1.000 Metern Höhe über ein Seil einen Generator am Boden betreibt und dort effizient und nachhaltig Strom erzeugen wird. Die ersten Geräte sollen noch in diesem Jahr in Regelbetrieb gehen.
Vorreiter Nordrhein-Westfalen
Das Verkehrsministerium NRW, beim Lift-off repräsentiert durch die heutige NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaft Ina Brandes, sieht in dem Vorhaben das Potenzial zur Blaupause: „Nordrhein- Westfalen ist Heimat der Mobilität 4.0 mit selbstfahrenden Bussen im Linienverkehr, automatisierten Binnenschiffen, landesweitem E-Tarif für Bus und Bahn oder leisen und emissionsfreien E-Flugzeugen, die in Aachen-Merzbrück abheben. Jetzt gibt es in dieser exzellenten Forschungsregion rund um die RWTH und das Rheinische Revier das bundesweit erste Testzentrum für Transportdrohnen und autonom betriebene Lufttaxis, die schnell und auf engstem Raum vertikal starten und landen können. Das neue Center for Vertical Mobility stärkt die Rolle Nordrhein-Westfalens als Pionier bei der Entwicklung des Flugverkehrs der Zukunft. Besonders freut mich, dass auch Luftfahrzeuge für den Notfall erforscht werden, um Menschenleben zu retten.“
Prof. Andreas Pinkwart zeigte sich bei der Eröffnung überzeugt, dass die Luftfahrt von morgen „nicht nur klimafreundlicher und leiser“ werde, sondern auch branchenübergreifend wichtige Impulse für viele weitere Anwendungen setzen werde: „Die effizientere Nutzung von Höhenwinden birgt großes Potenzial für den Ausbau der erneuerbaren Energien.“
Schon jetzt ist das Institut für Flugsystemdynamik mit weiteren Instituten der Hochschule an Forschungsprojekten zur innovativen Luftmobilität beteiligt. Diese werden seitens des Bundes oder der EU gefördert. Dazu gehören die Projekte „EULE“ für europäische Transportlösungen bei medizinischen Gütern, „Grenzflug+“ für die grenzüberschreitende Suche von geschädigten Personen, „SAFIR-med“, ebenfalls für die medizinische Versorgung und „FlutNetz“, ein Projekt für eine Notfallversorgung von Schlangenbissopfern aus Überflutungsgebieten in Bangladesch. Am CVM wird diese Forschung mit weiteren Projekten zusammengeführt. Die Zukunft der vertikalen Mobilität verspricht, spannend zu werden.
Autorin
Csilla Letay