Wie finden Wirtschaftlichkeit und Daseinsvorsorge die Balance?
Der Mobilitätssektor steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Digitalisierung, Klimaschutz und veränderte Mobilitätsbedürfnisse erfordern neue Lösungen, um den Verkehr effizienter, nachhaltiger und sozial gerechter zu gestalten. Während der öffentliche Personennahverkehr traditionell eine zentrale Rolle in der Daseinsvorsorge spielt, drängen immer mehr private Anbieter mit neuen Mobilitätsdiensten auf den Markt. Ridepooling, Carsharing und digitale Plattformen ergänzen den klassischen öffentlichen Nahverkehr oder treten in direkte Konkurrenz zu ihm.
Diese Entwicklung führt zu einem zentralen Spannungsfeld. Einerseits haben privatwirtschaftliche Mobilitätsdienste das Potenzial, den bestehenden Verkehr flexibler, effizienter und kundenfreundlicher zu gestalten. Andererseits besteht die Gefahr, dass sie sich vor allem auf wirtschaftlich rentable Strecken konzentrieren, während weniger profitable, aber gesellschaftlich notwendige Angebote auf öffentliche Mittel angewiesen bleiben. Besonders kritisch wird dabei diskutiert, inwieweit öffentliche Gelder zur Sicherstellung der Daseinsvorsorge an private Anbieter fließen sollten – eine Frage, die auch politisch immer wieder für Debatten sorgt.

Ingo Kollosche arbeitet seit Oktober 2018 am IZT. Als Leiter des Forschungsfelds „Zukunftsforschung & Transformation“ baut er die IZT-Forschung zur Mobilitätswende und Zukunftsstudien stetig aus.
Diesen Zielkonflikt zwischen Gemeinwohlorientierung und wirtschaftlicher Rentabilität sieht auch Ingo Kollosche, Leiter des Forschungsfeldes „Zukunftsforschung & Transformation“ am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) , als eine der größten Herausforderungen für öffentlich-private Partnerschaften im Bereich der Mobilität: „Der größte Streitpunkt bei Public-Private-Partnerships ist immer das Bediengebiet. Die öffentliche Hand will, dass neue Mobilitätsdienste flächendeckend – das heißt auch am Stadtrand und in ländlichen Regionen angeboten werden – dort, wo Menschen sie am dringendsten brauchen. Private Anbieter sagen dann oft: Das ist nicht profitabel für uns. Und das ist eine Konstante, die kaum zu überbrücken ist. Denn als Unternehmen muss da irgendwann eine schwarze Zahl stehen, während der öffentliche Verkehr als Daseinsvorsorge funktioniert und eine Grundversorgung garantieren muss.“
Die Lösung für dieses Spannungsfeld sieht Kollosche in einer pragmatischen Herangehensweise, die klar definierte vertragliche Rahmenbedingungen schafft: „Die Gestaltung von Public-Private-Partnerships sollte durch bindende rechtliche Vereinbarungen erfolgen, wobei in den Verträgen mit den Anbietern die Leistungsgebiete klar definiert werden müssen, sodass alle Verkehrsteilnehmer eingebunden werden können. Auch die Tarife müssen so gestaltet sein, dass der Zugang zur Mobilität für alle gesichert wird. Nur so lässt sich eine langfristige und gerechte Lösung sicherstellen.”
Ungeachtet aller Herausforderungen und Fallstricke, die sich aus derartigen Geschäftsbeziehungen ergeben, gelten Public-Private-Partnerships als vielversprechender Ansatz, um die Stärken beider Seiten zu kombinieren. Sie ermöglichen es, technologische Innovationen und betriebliche Effizienz privater Unternehmen mit der gesellschaftlichen Verantwortung und Infrastruktur öffentlicher Akteure zu verbinden. Doch die Zukunft solcher Geschäftsmodelle ist ungewiss: „Ob Public-Private-Partnerships ein vorübergehender Zustand sind oder eine langfristige Lösung, wissen wir nicht. Es ist durchaus möglich, dass Verkehrsbetriebe in Zukunft vieles wieder selbst übernehmen, was sie heute noch nicht leisten können. Aber gegenwärtig spielen sie eine wichtige Rolle, weil viele neue Mobilitätsangebote ohne private Unternehmen oft gar nicht umsetzbar wären.“
Was sind Public-Private-Partnerships?
Öffentlich-private Partnerschaften (Public-Private-Partnerships, PPP) sind Kooperationen zwischen der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft. Sie umfassen verschiedene Phasen, darunter Entwurf, Planung, Bau, Finanzierung, Management, Betrieb und Verwertung von Leistungen, die zuvor ausschließlich vom Staat erbracht wurden. Diese Partnerschaften bieten eine alternative Beschaffungsform für den Staat und stellen eine Ergänzung zur traditionellen Eigenrealisierung dar.
Der BerlKönig: Ein Experiment mit kurzer Lebensdauer
Im Jahr 2018 startete in Berlin der BerlKönig, ein On-Demand-Shuttleservice, der als öffentlich-private Partnerschaft zwischen der Berliner Verkehrsgesellschaft BVG und dem Mobilitätsdienstleister ViaVan umgesetzt wurde. Das Angebot sollte eine Lücke im öffentlichen Nahverkehr schließen und eine flexible, umweltfreundliche Alternative zum privaten Auto bieten. Das Konzept basierte auf Ridepooling, bei dem Fahrten algorithmisch gebündelt wurden, um eine effiziente Nutzung der Fahrzeuge zu gewährleisten.
Trotz hoher Erwartungen wurde der Dienst im Jahr 2022 eingestellt . Die wichtigste Ursache für das Scheitern war die fehlende wirtschaftliche Tragfähigkeit. Die Betriebskosten waren hoch, und eine Finanzierung allein über Fahrgeldeinnahmen war nicht realistisch. Während der Testphase wurde der Service stark subventioniert, was eine wirtschaftliche Skalierung erschwerte.
Ein weiteres Problem war die begrenzte Integration in den bestehenden öffentlichen Nahverkehr. Obwohl der BerlKönig als Ergänzung gedacht war, blieb er ein eigenständiges Angebot mit separaten Tarifen und Buchungssystemen. Dies führte zu Nutzungshürden und erschwerte eine breitere Akzeptanz. Zudem war das Bediengebiet auf den innerstädtischen Bereich begrenzt, sodass gerade die Außenbezirke, in denen flexible Mobilitätslösungen besonders gefragt sind, nicht berücksichtigt wurden.
MOIA in Hamburg als Erfolgsmodell?
Während der BerlKönig in Berlin scheiterte, hat sich in Hamburg ein vergleichbares Konzept etabliert. Der Ridesharing-Dienst MOIA , der 2019 von Volkswagen ins Leben gerufen wurde, ergänzt das städtische Mobilitätsangebot und bietet eine flexible, umweltfreundliche Alternative zum klassischen öffentlichen Nahverkehr. MOIA basiert auf dem Ridepooling-Prinzip, bei dem mehrere Fahrgäste auf der gleichen Strecke mit einem Fahrzeug unterwegs sind. Die Fahrten werden über eine App gebucht, die eine Routenoptimierung ermöglicht, um die Fahrten möglichst effizient zu gestalten und Leerfahrten zu minimieren.
MOIA kooperiert eng mit dem Hamburger Verkehrsverbund (HVV) , wodurch der Dienst nahtlos in den bestehenden öffentlichen Nahverkehr integriert wird. Die Ticketpreise für Moia orientieren sich an den Tarifen des HVV, sodass Fahrgäste ihre gewohnten Tickets oder Abonnements auch für Moia-Fahrten nutzen können. Dies fördert die Erschließung von Gebieten, die weniger gut durch Busse oder Bahnen bedient werden, und macht Moia zu einer flexiblen Ergänzung des Verkehrssystems.
Neben der Partnerschaft mit dem HVV erhält MOIA auch öffentliche Unterstützung und Subventionen. Das Projekt Hamburg-Takt , das innovative Mobilitätslösungen fördert, stellt Mittel zur Verfügung, um den Dienst umweltfreundlicher und effizienter zu gestalten. MOIA setzt auf eine Flotte von Elektrofahrzeugen, die die CO₂-Emissionen in der Stadt senken und gleichzeitig den Bedarf an flexibler und nachhaltiger Mobilität decken.
Auch im Bereich autonomer Mobilität treibt Hamburg die Entwicklung voran: Im Rahmen des ALIKE-Projekts sollen ab Mitte 2025 bis zu 20 autonome, vollelektrische Shuttles in einem 37 Quadratkilometer großen Gebiet im Hamburger Stadtzentrum getestet werden. Die Fahrzeuge, darunter der Volkswagen ID. Buzz AD und der HOLON Mover, werden über die Apps hvv switch und MOIA buchbar sein und sollen den öffentlichen Nahverkehr flexibel ergänzen. Zunächst werden Sicherheitspersonal an Bord sein, um bei Bedarf einzugreifen, während die Akzeptanz und die Auswirkungen des autonomen Fahrens auf den städtischen Verkehr wissenschaftlich untersucht werden.
Durch diese enge Zusammenarbeit zwischen privatem Anbieter und öffentlichen Verkehrsbetrieben wird MOIA als ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Verkehrsangebots in Hamburg gesehen und leistet einen bedeutenden Beitrag zur Verkehrswende in der Stadt.
Geschäftsmodelle zwischen Gemeinwohl und Marktinteresse
Eine Studie des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) hat verschiedene Mobilitätsanbieter untersucht und zehn idealtypische Geschäftsmodelle identifiziert, die sich zwischen rein gemeinwohlorientierten und rein kommerziellen Modellen bewegen. Diese unterscheiden sich in Bezug auf Finanzierungsstruktur, Kooperationsgrad mit dem öffentlichen Nahverkehr und grundsätzliche Werteorientierung.
Die Ergebnisse der Studie beruhen auf einer quantitativen Befragung von 27 Mobilitätsanbietern sowie auf acht qualitativen Experteninterviews mit Akteuren aus der Branche. Diese liefern wertvolle Einblicke in die Herausforderungen und Zukunftsperspektiven der Anbieter. Dabei wurde deutlich, dass Unternehmen sehr unterschiedlich mit dem öffentlichen Nahverkehr interagieren. Während einige Anbieter sich als Ergänzung zum ÖPNV verstehen und eine stärkere Integration befürworten, setzen andere auf eine unabhängige, marktwirtschaftliche Strategie.
Besonders die finanzielle Unsicherheit wurde von vielen Befragten als eine der größten Herausforderungen genannt. Viele Geschäftsmodelle sind auf öffentliche Subventionen oder private Investoren angewiesen, was eine langfristige Planung erschwert. Zudem berichteten die Anbieter von regulatorischen Hürden, die eine Kooperation mit dem ÖPNV erschweren, da Genehmigungsverfahren oft langwierig und uneinheitlich geregelt sind.
Ein weiteres Hindernis stellt die technische Integration digitaler Plattformlösungen und deren Vernetzung mit bestehenden ÖPNV-Systemen dar. Das liegt jedoch nicht nur an finanziellen Aspekten, wie Ingo Kollosche erklärt: „Der öffentliche Sektor kooperiert mit professionellen Anbieter:innen, weil er die technologische Entwicklung und den Betrieb komplexer IT-Infrastrukturen allein oft nicht stemmen kann – sei es aufgrund fehlender personeller Kapazitäten oder weil das notwendige technologische Know-how intern nicht vorhanden ist. Die ganze Backend-Technologie, die Server, die Datenverarbeitung – das sind alles Bereiche, in denen private Anbieter eine zentrale Rolle spielen.”
Die Studie als Download
Sie wollen es genau wissen? Hier finden Sie die angesprochene Studie mit allen Informationen und Erkenntnissen als Download. Durchgeführt wurde diese Studie vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT).
Regulierung und Steuerung von PPPs
Damit Public-Private-Partnerships langfristig erfolgreich sind, müssen klare vertragliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es reicht nicht aus, private Anbieter einfach in den öffentlichen Verkehr zu integrieren – sie müssen sich an bestimmte Vorgaben halten, damit Gemeinwohlziele nicht durch rein wirtschaftliche Interessen verdrängt werden.
Hier sieht Kollosche eine große Verantwortung bei den öffentlichen Akteur:innen: „Wenn eine Stadt eine Kooperation eingeht, muss sie genau definieren, was sie braucht – ob es um Bediengebiete, Tarife oder Datenzugang geht. Private Anbieter müssen dann entscheiden: Können wir das leisten oder nicht? Und wenn sie sich nicht an die Regeln halten, muss es Konsequenzen geben.“
Ein besonders sensibler Bereich ist der Datenaustausch zwischen privaten Anbietern und dem öffentlichen Nahverkehr. Öffentliche Verkehrsunternehmen benötigen für eine funktionierende Integration oft Zugriff auf die Daten privater Mobilitätsanbieter – etwa um Fahrten effizient mit dem ÖPNV zu verknüpfen oder kombiniertes Ticketing anzubieten. Doch viele Unternehmen zögern, ihre Daten offenzulegen. Gleichzeitig muss die öffentliche Hand sicherstellen, dass sensible Kundendaten geschützt bleiben.
Diese Problematik zeigt sich bereits in anderen Ländern, wie Kollosche beschreibt: „In Finnland wurde per Gesetz geregelt, dass alle Mobilitätsanbieter ihre Schnittstellen öffnen und ihre Daten freigeben müssen. Nur so funktioniert es, wenn ich reibungslose Mobilität über verschiedene Verkehrsmittel hinweg haben möchte. In Deutschland blockieren wir uns in dieser Hinsicht teilweise selbst durch Datenschutzvorgaben.“
Die Zukunft der urbanen Mobilität: Klare Regeln für sinnvolle Partnerschaften
Public-Private-Partnerships sind kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um Mobilität effizienter, nachhaltiger und sozial gerechter zu gestalten. Ihre Zukunft ist ungewiss – doch gegenwärtig spielen sie eine entscheidende Rolle, weil viele innovative Mobilitätslösungen ohne private Anbieter nicht umsetzbar wären. Die Erfahrungen aus Berlin und Hamburg zeigen: Der Erfolg solcher Partnerschaften hängt von einer klaren Integration in den öffentlichen Nahverkehr, einer langfristigen Finanzierung und einer vorausschauenden Regulierung ab.
Gut gesteuerte PPPs können zur Mobilitätswende beitragen – doch sie müssen so gestaltet sein, dass sie nicht nur wirtschaftlich tragfähig, sondern auch sozial gerecht und langfristig stabil sind.
Autorin
Janina Zogass
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